Leicht hat er es den Richtern nicht gemacht: Als Ratko Mladić nach langer Flucht in Den Haag erschien, da hat er weder Reue gezeigt noch Kooperationsbereitschaft. Von "widerlichen Anschuldigungen" hat er gesprochen, als man ihm die Anklage vorlas, und das Gericht als "satanisch" sowie als "Kreatur der Nato" geschmäht. So hat er seinen Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien als letzte große Schlacht inszeniert. Nun wurde der General, der ein ganzes Land mit Gewalt und Tod überzog, zu lebenslanger Haft wegen Völkermordes verurteilt. Es ist ein letzter Anlauf zur Gerechtigkeit, ein Vierteljahrhundert nach dem Beginn des Bosnienkriegs. Mladić hat bis zuletzt alle Schuld von sich gewiesen und nach dem Urteil Berufung eingelegt.
Als "Schlächter vom Balkan" ist Mladić bekannt geworden. Zusammen mit Radovan Karadžić, der im Mai 2016 vom Haager Tribunal zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, und Slobodan Milošević, der noch vor seinem Urteil 2006 im UN-Gefängnis verstarb, steht er für die brutal verfolgte Idee eines Groß-Serbien, die in Bosnien von 1992 bis 1995 rund 100 000 Tote gefordert hat. Im 2012 begonnenen Gerichtsverfahren musste sich Mladić in elf Anklagepunkten wegen Völkermords, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten. Zur Last gelegt wird ihm unter anderem das Massaker von Srebrenica mit mehr als 8000 Toten, die mehr als 1000 Tage andauernde Belagerung der Hauptstadt Sarajevo sowie die Geiselnahme von UN-Blauhelmsoldaten.
Zum Nationalismus bekannte sich der heute 74-Jährige, der im bosnischen Bergdorf Božanovići bei Kalinovik geboren wurde, allerdings erst relativ spät. Bevor er 1992 zum Oberkommandierenden der bosnisch-serbischen Streitkräfte ernannt wurde, hatte er Karriere in der Jugoslawischen Volksarmee gemacht und war dort mit dem "Orden der Brüderlichkeit und Einheit" ausgezeichnet worden. Brüderlich zeigt er sich im Krieg dann höchstens noch gegenüber den eigenen Leuten. Die bosnischen Muslime und Kroaten dagegen lernten ihn als gnadenlosen Feldherrn kennen. "Seit jeher werden Grenzen mit Blut gezogen", lautete sein Mantra.
In Serbien konnte er auf die Hilfe von Armee, Geheimdienst und Kirche bauen
Der Bosnien-Unterhändler Richard Holbrooke sah in Mladić die Idealbesetzung eines Kriegsverbrechers für einen Hollywood-Film, er beschrieb ihn als "charismatischen Mörder". Privat gab sich der General dagegen gern als Biedermann, der Blumen liebt und Bienen züchtet. Im Kreis der Familie entspannte er beim Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel. Doch auch dieses aufgesetzte Idyll wurde vom Krieg nicht verschont. Mladićs Tochter Ana, eine Medizinstudentin, nahm sich bereits 1994 das Leben. Sie erschoss sich mit der Lieblingspistole des Vaters, aus Scham und Entsetzen über seine Taten, wie es heißt.
Nach dem Krieg entzog sich Mladić 16 Jahre lang seiner Verhaftung. Am Anfang zeigte er sich in Belgrad noch öffentlich in Restaurants und in der Ehrenloge des Fußballklubs Partizan. Untertauchen musste er erst 2002, als sein Patron Milošević gestürzt und nach Den Haag ausgeliefert worden war. Auch danach konnte er in Serbien weiter auf die Hilfe von Armee, Geheimdienst und Kirche bauen. Über Jahre fand er Unterschlupf in Klöstern und Kasernen. Gestellt wurde er erst am 26. Mai 2011 im Dorf Lazarevo, ungefähr 80 Kilometer von Belgrad entfernt, wo er sich, von mehreren Schlaganfällen gezeichnet, im Haus eines Cousins versteckt hielt. Die Verfolger begrüßte er mit den Worten: "Gratuliere, ihr habt den Richtigen."
Betreut von den Gefängnisärzten in den Niederlanden erholte er sich leidlich, und bald schon reichte die Kraft wieder für ein paar bizarre Auftritte im Gerichtssaal. Einmal erschien er mit einer Bärenfellmütze, die er nur widerwillig ablegte. Ein andermal vergaß er seine Zähne in der Zelle und setzte eine Unterbrechung des Prozesses durch, bis sie ihm von Sicherheitskräften gebracht worden waren. Von Beginn an spielten seine Anwälte auf Zeit und stellten noch kurz vor dem Urteil vergeblich Anträge, Mladić zur medizinischen Behandlung nach Russland oder nach Serbien ausreisen zu lassen. Ob er zur Urteilsverkündung im Gerichtssaal anwesend sein wird, stellten sie noch zu Wochenbeginn infrage. Die Ärzte hätten ihn vor "jeder Form von Stress gewarnt".