Nahost:Wo andere das Sagen haben

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Begleitet von viel Pomp lässt sich Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas zum erstem Mal seit elf Jahren wieder in Dschenin blicken. (Foto: Raneen Sawafta/Reuters)

Palästinenser-Präsident Abbas besucht das vom israelischen Militär verwüstete Flüchtlingslager von Dschenin. Doch er ist dort ein Anführer ohne Rückhalt im Volk.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Vom Himmel hoch, da ist er eingeschwebt: Per Hubschrauber hat sich Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas am Mittwoch nach Dschenin begeben, in die Niederungen seines Reichs. Eine Woche nach dem massiven israelischen Militäreinsatz im dortigen Flüchtlingslager hat er sich selbst ein Bild gemacht von den Verwüstungen und den Wiederaufbaubemühungen. Ein Zeichen hat er damit setzen wollen, ein Ausrufezeichen natürlich. Doch tatsächlich wird auch dieser Auftritt so wie seine ganze Herrschaft mittlerweile viel mehr von Fragezeichen umrankt.

Der 87-Jährige gilt inzwischen nicht mehr nur als Präsident ohne Staat, sondern auch als Anführer ohne Rückhalt im Volk. Aktuellen Umfragen zufolge wünschen sich 80 Prozent der Palästinenser seinen Rücktritt - und an wenigen Orten ist der Verlust seiner Macht so deutlich zu sehen wie in Dschenin. Die von Abbas geführte Palästinensische Autonomiebehörde hat dort längst die Kontrolle verloren. Das Sagen haben hier die radikaleren Gruppen wie Hamas und Islamischer Dschihad.

Abbas verspricht Millionen - doch seine Autonomiebehörde gilt als korrupt

Abbas hat diesen Kontrahenten das Feld bislang praktisch kampflos überlassen. In Dschenin, das Luftlinie nicht einmal hundert Kilometer von seinem Amtssitz in Ramallah entfernt liegt, hatte er sich seit 2012 nicht mehr blicken lassen, und auch damals hatte er nur kurz vorbeigeschaut zu einem Kondolenzbesuch nach dem Tod des dortigen Gouverneurs Kadura Musa. Im brodelnden Dscheniner Flüchtlingslager ist er kein einziges Mal gewesen seit seiner Wahl zum Präsidenten 2005.

Dass er und seine Palästinensische Autonomiebehörde dort nicht nur machtlos, sondern verhasst sind, war unmittelbar nach der israelischen Militäraktion zu sehen: Bei der Beerdigung der bei den Gefechten getöteten zwölf Milizionäre wurden zwei hohe Vertreter der Autonomiebehörde unter wütenden Sprechchören vom Friedhof gejagt. Videos von dieser Schmach verbreiteten sich schnell. Überdies wurde ein Stützpunkt der Abbas unterstellten Sicherheitskräfte in Dschenin mit Steinen beworfen. Die Vorwürfe im Volk gehen von unterlassener Hilfeleistung bis hin zur Kollaboration mit dem Feind.

Der Besuch des Präsidenten ist also als Versuch zu sehen, auf verlorenem Terrain nun wieder Fuß zu fassen - und dazu gehörte eine aufwändige Inszenierung. Hunderte von Sicherheitskräften hatten Berichten zufolge schon am Tag zuvor plötzlich Präsenz demonstriert in Dschenin. Abbas kam dann nicht allein, sondern brachte Premierminister Mohammed Schtaje ebenso mit wie den Geheimdienstchef Madschid Faradsch. Demonstrativ führte ihn der Weg dann auch zum Friedhof, wo er einen Kranz niederlegte zu Ehren der vorige Woche getöteten Kämpfer.

Natürlich ist Abbas auch nicht mit leeren Taschen gekommen. Bei einer kurzen Ansprache im Flüchtlingslager, in dem Israels Armee zahlreiche Straßen aufgerissen und Häuser beschädigt hatte, versprach er einen Wiederaufbau "besser als zuvor". Unterstützung haben bereits mehrere Staaten versprochen. 30 Millionen Dollar zum Beispiel sollen aus Algerien kommen, 15 Millionen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Das Geld ist hoch willkommen. Doch in den sozialen Netzwerken kursierte auch schnell schon die Frage, ob am Ende wirklich alles ankommt in Dschenin. Denn die Autonomiebehörde gilt nicht nur als schwach, sondern auch als äußerst korrupt.

Zuletzt suchte Abbas in China neue Freunde

Ganz gewiss ist Abbas im Spätherbst seiner Macht angekommen. Vom Ziel - der Gründung eines Palästinensischen Staats - ist er weiter entfernt als vor fast 20 Jahren, als er die Nachfolge von Jassir Arafat antrat. Friedensgespräche mit den Israelis gibt es schon seit 2014 nicht mehr. Die aktuelle rechts-religiöse Regierung in Jerusalem propagiert offen den Anspruch auf das gesamte Land zwischen Mittelmeer und Jordan.

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Die Erwartungen seines Volkes also hat Abbas auf ganzer Linie enttäuscht. Von Zeit zu Zeit verbreiten sich bereits Gerüchte über seinen Tod, gesundheitliche Problem hat er seit langem. Doch er zeigt sich als Greis mit eiserner Faust. Kritiker seiner Herrschaft, die auf einem einzigen Wahlsieg anno 2005 basiert, landen schnell hinter Gittern. Einen Nachfolger hat er bewusst nicht aufgebaut.

Vor all den Problemen zu Hause flüchtet er immer noch gern ins Ausland. Doch auch dort werden die Räume enger. In Berlin zum Beispiel mag ihn bestimmt so schnell niemand mehr sehen, nachdem er im Sommer 2022 im Kanzleramt mit einem missratenen Holocaust-Vergleich auffällig geworden war. Auch in den USA hat er stark an Ansehen verloren. Präsident Joe Biden hat ihm gerade erst wieder in einem Interview mit CNN einen "Mangel an Legitimität" und einen "Verlust an Glaubwürdigkeit" attestiert.

Auf der Suche nach neuen Freunden ist Abbas im Juni in Peking gelandet, vier Tage war er auf Staatsbesuch in China. Der dortige Pomp hat ihm gewiss weit besser gefallen als die Trümmer, die ihn nun in Dschenin erwartet haben. Aber nach anderthalb Stunden war er dort auch schon wieder weg.

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