Eskalation in Nahost:Die Gewalt zieht Kreise

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Flucht aus Dschenin: Tausende sollen seit Beginn der Angriffe das palästinensische Flüchtlingslager dort verlassen haben. (Foto: Majdi Mohammed/AP)

Israels Armee setzt den Militäreinsatz in Dschenin im Westjordanland fort. Einen Terroranschlag mit sieben Verletzten in Tel Aviv nennt die Hamas eine "erste Reaktion".

Von Peter Münch, Tel Aviv

Israels Armee hat am Dienstag die Militäroperation im Flüchtlingslager von Dschenin fortgesetzt. Ziel des größten Armee-Einsatzes im palästinensischen Westjordanland seit fast 20 Jahren ist es, dort verschanzte Kämpfer zu töten oder zu verhaften sowie deren Waffenlager aufzuspüren. Inmitten der Kampfhandlungen haben inzwischen mehrere Tausend Palästinenser das Lager verlassen. Dass die Gewalt weitere Kreise zieht, zeigte sich am Dienstagnachmittag bei einem Terroranschlag in Tel Aviv mit sieben Verletzten, den die Hamas als "erste Reaktion" auf den Militäreinsatz in Dschenin bezeichnete.

Berichten zufolge fuhr der Täter mit einem Pick-up-Transporter in eine Menschenmenge an einer Bushaltestelle. In einem Video ist zu sehen, wie er danach ausstieg, Passanten nachjagte und sie mit einem spitzen Gegenstand attackierte. Nach Polizeiangaben wurde er am Tatort von einem bewaffneten Zivilisten erschossen.

Der Bürgermeister spricht von brutalen Vertreibungen. Die Armee dementiert

Der Inlandsgeheimdienst Schin Bet identifizierte den Täter als 20-jährigen Palästinenser aus einem Dorf in der Nähe von Hebron im südlichen Westjordanland. Ohne sich direkt zur Tat zu bekennen, erklärte ein Hamas-Sprecher, der Angriff sei ein Zeichen dafür, dass "die Besatzung den Preis für die Verbrechen in Dschenin zahlen wird". Israels Polizeichef Kobi Schabtai rief am Anschlagsort die israelische Bevölkerung zu erhöhter Wachsamkeit auf.

Das palästinensische Gesundheitsministerium erhöhte am Dienstag die Zahl der getöteten Palästinenser in Dschenin auf zehn. Mehr als 100 Menschen sind demnach bei den Kämpfen verletzt worden, ungefähr 20 davon schwer. Israels Armee präsentierte als Beleg für einen erfolgreich verlaufenden Einsatz Fotos großer Mengen konfiszierter Waffen. Hunderte Sprengfallen und Tausende Granaten seien entdeckt worden sowie drei Laboratorien für den Bombenbau. Besondere Aufmerksamkeit galt einem Waffenlager, das in zwei Schächten unterhalb einer Mosche angelegt worden war.

Der Täter fuhr mit einem Pick-up in eine Gruppe Wartender an einer Bushaltestelle in Tel Aviv, sieben Menschen wurden verletzt. (Foto: Amir Levy/Getty)

Aufsehen erregten auch Bilder, die in der Nacht große Gruppen von Menschen beim Verlassen des Flüchtlingslager zeigten. Der Bürgermeister von Dschenin, Nidal Obeidi, erklärte, 3000 bis 4000 Einwohner seien brutal aus ihren Häusern vertrieben worden mit der Drohung, dass sie ansonsten sterben müssten. Ein Sprecher der israelischen Armee wies strikt zurück, dass es eine Vertreibung oder einen Befehl zur Evakuierung gegeben habe. Die Bedingungen im Flüchtlingslager, in dem 17 000 Menschen dicht gedrängt leben, erscheinen allerdings zunehmend katastrophal. Wasser- und Stromversorgung sollen dort zusammengebrochen sein.

Wer einen Israeli tötet, gehöre "ins Gefängnis oder ins Grab", sagt der Premier

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat die Losung ausgegeben, dass Dschenin nicht mehr länger ein "Rückzugsort für Terroristen" bleiben solle. Es müsse eine "neue Gleichung" durchgesetzt werden. "Jeder, der einen Israeli umbringt, gehört entweder ins Gefängnis oder ins Grab", sagte er. "In diesen Momenten schließen wir die Mission ab", sagte Netanjahu Medienberichten zufolge am Dienstagabend bei einem Besuch eines Militärpostens in der Nähe von Dschenin. Gleichwohl machte er deutlich, die Aktion sei "kein einmaliger Vorgang, wir werden so lange wie nötig weitermachen".

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Aus Protest gegen die israelische Militäroperation in Dschenin riefen mehrere Palästinenser-Organisationen im Westjordanland und in Ost-Jerusalem zu einem eintägigen Generalstreik auf. Die Autonomiebehörde von Präsident Mahmud Abbas erklärte nach einem Krisentreffen, dass es keine Sicherheitskooperation mit Israel mehr geben werde. Ähnliche Ankündigungen hatten die Palästinenser jedoch in der Vergangenheit schon mehrmals gemacht - und faktisch nicht umgesetzt. Denn die in Orten wie dem Flüchtlingslager von Dschenin aktiven Palästinenserorganisationen wie Hamas und Islamischer Dschihad bedrohen auch die Macht von Abbas. Dessen Sicherheitskräfte müssten dort eigentlich für Ruhe und Ordnung sorgen, sie haben aber längst die Kontrolle verloren.

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