Drogenkrieg in Mexiko:"Die kommen und töten"

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Seit Präsident Calderón beschlossen hat, Truppen in die Schlacht mit den Rauschgiftkartellen zu schicken, erschießt die Armee immer wieder unschuldige Bürger. 50.000 Tote hat es in den vergangenen Jahren gegeben. Und die Regierung tut nichts.

Peter Burghardt, Monterrey

Sie schossen sofort, Soldaten sind darauf getrimmt. "Macht auf, ihr Scheißkerle", riefen die Uniformierten vor dem zweistöckigen Haus in Apodaca bei Monterrey im Norden Mexikos. Und feuerten von außen mit Maschinengewehren gegen die Mauern. Gustavo Acosta löste das Schloss und bat: "Nicht schießen." Er habe keine Waffen. Und es seien Kinder daheim.

50.000 Menschen starben in den vergangenen fünf Jahren im mexikanischen Drogenkrieg. (Foto: AFP)

Doch das Kommando der mexikanischen Marine trat gegen die Tür und jagte ihm mehrere Kugeln in den Kopf. Die großkalibrigen Projektile hinterließen faustgroße Einschläge in der Wand, Acosta, 30, fiel seinem Vater vor die Füße. Es war der 1. September 2011, kurz nach Mitternacht. "Sie haben ihn vor mir umgebracht, es ging so schnell", sagt der Vater, Gustavo Acosta senior. "Sie haben ihn ermordet."

Monate später sitzt der Vater mit seiner Frau María Luján im Büro der Menschenrechtsvereinigung Cadhac im Zentrum von Monterrey, ein ruhiger Mann mit Seehundschnauzer, Augenringen und Krücken. Ihren Jungen können sie ihnen auch hier nicht wiedergeben, der Terror jener Minuten wird sie ein Leben lang begleiten. Das Militär, das sie im mexikanischen Drogenkrieg schützen soll, erschoss vor ihren Augen und denen der jüngeren Geschwister ihr ältestes Kind. Doch die Organisation Cadhac hilft ihnen immerhin, mit dem Schrecken umzugehen und so etwas wie Gerechtigkeit zu suchen.

2006 hatte Präsident Felipe Calderón beschlossen, Truppen in die Schlacht mit den Rauschgiftkartellen zu schicken. Ein Teil der Bevölkerung begrüßte das, doch der Kampf forderte einen hohen Blutzoll: 50.000 Menschen wurden in fünf Jahren niedergemetzelt, obwohl ebenso viele Soldaten und Polizisten im Einsatz sind. "Man muss die Strategie in Frage stellen", findet die Cadhac-Juristin María del Mar Álvarez, ihre Zweifel teilen viele.

Die Auftragskiller der Kartelle morden im Kampf um Märkte und Routen skrupellos - aber der Staat ist bei seiner Gegenwehr bestechlich, und er trifft auch Unschuldige. Die Marine-Einheiten gelten als Profis, dabei sind sie kaum für Polizeiaufgaben geeignet. Die Cadhac-Chefin Consuelo Morales sagt es so: "Die kommen und töten."

Die Methoden erinnern an jene von Todesschwadronen, dabei ist das moderne Mexiko eine Demokratie, Mitglied der G 20, am Wochenende kommt Bundesaußenminister Guido Westerwelle zu einem Treffen nach Baja California. Human Rights Watch gab im November eine Studie unter dem Titel "Weder Sicherheit noch Rechte" heraus.

Darin ist von Hinrichtungen, Entführungen und Folter durch Mexikos Armee und Polizei im Zuge der Offensive gegen die organisierte Kriminalität die Rede; etliche Fälle sind belegt. Human Rights Watch kommt zu dem Schluss, dass die Gewalt durch den Einsatz nicht gesunken, sondern gewachsen sei.

Consuelo Morales spürt das bei Cadhac täglich, ihre Kartei ist voll von Berichten der Gewalt: 117 Verschwundene und diverse staatliche Übergriffe wurden allein 2011 in Monterrey registriert, landesweit gelten fast 17 000 Mexikaner als vermisst. Viele Betroffene haben Angst, sich an Gerichte oder Behörden zu wenden, unabhängige Stellen wie Cadhac werden da zu Fluchtpunkten.

"Die Angst lähmt uns alle", sagt die Cadhac-Chefin. Aber sie erhebt dabei die Stimme. Sie spricht vom Monster der Straflosigkeit und der Korruption: In 40 Prozent der Verbrechen sind ihrer Meinung nach Regierungsleute verstrickt.

So suchen Angehörige von Opfern Zuflucht bei Cadhac. Eine ehemalige Lehrerin bekommt hier kostenlose Rechtsberatung, ihr Sohn wurde im Januar 2011 aus der Wohnung heraus verschleppt, vermutlich von der Rauschgift- und Killerbande Los Zetas. Die Zetas entstanden aus einer Eliteeinheit der mexikanischen Streitkräfte, Polizisten und Soldaten sind involviert. Die Mutter zahlte Lösegeld, wie so viele andere Familien Gekidnappter. Ihre Sohn bekam sie trotzdem nicht zurück, mit Hilfe von Cadhac folgt sie nun immerhin seinen Spuren.

Auch die Eltern von Gustavo Acosta, der in Monterrey erschossen wurde, suchen Hilfe bei Cadhac. Nach dem Angriff meldete die Marine, man habe "einen mutmaßlichen Delinquenten namens Gustavo Acosta Luján alias M-3" getötet. Die Kriminalisierung der Opfer ist üblich, aber die Familie Acosta glaubt nicht, dass ihr Gustavo ein Delinquent war. Wenn, dann hätte es einen Durchsuchungsbefehl geben müssen.

"Sie sollen seinen Namen reinwaschen und die Verantwortlichen bestrafen", sagt der Vater des Ermordeten, sein dreijähriger Enkel ist nun Halbwaise. Die Causa kommt ausnahmsweise voran, es könnte tatsächlich einen Prozess geben. Die Anklage: staatlicher Mord im Drogenkrieg.

© SZ vom 18.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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