Dreißigjähriger Krieg:Die Endzeitangst breitete sich schneller aus als der Krieg

Gustav Adolf bei Lützen / nach L.Braun

Das Ölgemälde zeigt den Schwedenkönig Gustav II. Adolf beim Gebet vor der Schlacht bei Lützen, im heutigen Sachsen-Anhalt, in der er im Kampf fiel. Dort standen sich im November 1632 ein protestantisches Heer und kaiserliche Truppen unter Wallenstein gegenüber.

(Foto: Gemeinfrei)

Georg Schmidt schöpft seine fulminante Geschichte über den Dreißigjährigen Krieg aus Quellen, die anderen Autoren entgangen sind. Der Hass auf die Gegner und die Weltuntergangsstimmung werden greifbar.

Rezension von Rudolf Neumaier

Überall piesackten sich Protestanten und Katholiken mit Gemeinheiten. Gerade hundert Jahre waren seit der Glaubensspaltung vergangen. Ständig köchelten Animositäten, wo sich Einflusssphären überlagerten - und mit Glaubensangelegenheiten waren allzu oft Machtfragen verbunden.

Doch das Scharmützel in der böhmischen Kanzlei auf dem Hradschin von Prag, das sich auf den Tag genau vor 400 Jahren um 9 Uhr morgens zutrug, dieses Scharmützel stellte dann doch eine exzeptionelle Gemeinheit dar: der Fenstersturz. Die Defenestration - welch vornehmer Begriff für eine lebensgefährliche Rüpelei! Die Defenestrierten überlebten. Am 23. Mai 1618 war also entweder Gott im Spiel. Oder der Teufel. Vielleicht auch beide. Spektakulärer geht's kaum.

Protestanten stürzen die Vertreter der katholischen Machthaber in die Tiefe. Es ist eine dankbare Szene für jeden Historiker, der sich als Autor den Dreißigjährigen Krieg vornimmt. Aber dann kommt es darauf an, ob und wie man diesen Vorfall interpretiert und einbettet in die noch viel spektakulärere Geschichte dieses Krieges. Zumeist ist er als Schlacht der Mächtigen und als politisches Gemetzel mit unzähligen Bauernopfern beschrieben worden, als ein sehr blutiges Schachspiel.

Georg Schmidt hat ein sehr viel weiteres Blickfeld. Als langjähriger Ordinarius für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena kennt er die Epoche zu gut, als dass er sich auf den Verlauf des Krieges, der Friedensverhandlungen und die Interessen der vermeintlichen Protagonisten konzentrieren müsste. In Schmidts Kriegsgeschichte spielt der Geist der Zeit wie bei keinem anderen Historiker eine wesentliche Rolle.

Friedrich Schiller war einer der ersten, der eine große Geschichte des Dreißigjährigen Krieges verfasste. Schmidt, Jahrgang 1951, hat nun nach seinem eigenen in der achten Auflage erschienenen Überblicksbüchlein in der Reihe Beck Wissen, nach dem Buch des Politologen Herfried Münkler und nach der deutschen Übersetzung der Kriegschronik "Eine europäische Tragödie" des Oxford-Historikers Peter H. Wilson die jüngste Analyse dieses Infernos vorgelegt.

Bei Schmidt wird anschaulich, in welcher Atmosphäre der Krieg ausbrach und sich auswuchs zu einer Katastrophe bis dahin nicht gekannten Ausmaßes. Weltuntergangsstimmung herrschte schon ein halbes Jahr nach dem Fenstersturz. Die Menschen glaubten an die Menetekel von Natur- und Himmelserscheinungen. Und jeder Theologe deutete sie so, wie er es für günstig hielt, um die befeindeten Konfessionen zu diskreditieren. Im Herbst 1618 stand ein riesiger Komet in Gestalt einer Rute am Firmament und strahlte hell.

Prediger verkündeten die letzte Phase der Menschheit

Eine Bedrohung? Eine Gelegenheit! Zumindest für die protestantischen Pfarrer in den Gebieten, in denen das Volk aufzuwiegeln war gegen katholische Vormacht. In Prag zum Beispiel kletterte der Superintendent Helwig Garth auf die Kanzel von St. Salvator und machte sein Auditorium hysterisch: Die Wiederkunft des Herrn stehe bevor, der Komet sei als eindeutiges Zeichen zu werten.

Dreißigjähriger Krieg: Georg Schmidt: Die Reiter der Apokalypse. Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. Verlag C.H. Beck, München 2018. 810 Seiten, 32Euro. E-Book 26,99 Euro.

Georg Schmidt: Die Reiter der Apokalypse. Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. Verlag C.H. Beck, München 2018. 810 Seiten, 32Euro. E-Book 26,99 Euro.

Doch vor der Wiederkunft werde die Strafe Gottes mit üblen Plagen über die Welt kommen. Christus werde alle Gottlosen ins Verderben stürzen. Deswegen war's geboten, Buße zu tun und dem Antichrist die Stirn zu bieten. Die letzte Phase der Menschheitsgeschichte war angebrochen, verkündeten Prediger wie Garth. Sie hetzten in ihren Kirchen, ließen ihre Hassreden drucken und verbreiten. Die Endzeitangst breitete sich viel schneller aus als der Krieg selbst.

Solche Panikattacken entdeckte Schmidt in unterschiedlichsten Quellen aus verschiedensten Gegenden. Die meisten Historiker sehen über solche Zeiterscheinungen hinweg. Bei Wilson etwa ist Helwig Garth nicht einmal erwähnt. Dabei hatten noch Zeitgenossen wie Philipp Abelin im Jahr 1635 den Schweifstern als Gottes Zeichen dargestellt, den "ganz Europa mit sonderlichem Schrecken" beobachtete.

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