Vor genau 400 Jahren, am 23. Mai 1618, stürzten böhmische Adlige die Statthalter von König Ferdinand II., dem späteren Kaiser, aus den Fenstern der Prager Burg. Das Ereignis bildete den Auftakt zu einer Kriegsperiode von 30 Jahren, in der Millionen Menschen getötet wurden. Der Historiker Georg Schmidt von der Uni Jena erforscht die Geschichte des Krieges schon seit Jahren und hat vor Kurzem eine eindrucksvolle Gesamtdarstellung vorgelegt (Die Reiter der Apokalypse. Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, C.H.Beck Verlag, München 2018). Wir sprachen mit ihm über den ungewöhnlichen Auslöser des Kriegsgeschehens und die Frage, was uns diese Periode heute noch sagt.
SZ: Herr Schmidt, der Zweite Prager Fenstersturz war im Grunde genommen ein lokales Ereignis, das glimpflich endete - niemand kam dabei ums Leben. Warum folgten darauf dreißig Jahre Krieg, Verwüstung und Tod in Mitteleuropa?
Georg Schmidt: Der Fenstersturz löste zunächst einen regional begrenzten Aufstand der protestantischen böhmischen Stände aus. Die Dramatik kam in das Geschehen, als im Herbst 1618 ein großer Komet am Himmel erschien. Er wurde als Strafandrohung Gottes wahrgenommen, denn Kometen galten seit alters als Unglücksboten. Die Menschen sahen diesen Schweifstern als ein Zeichen, dass sich der böhmische Krieg ausweiten werde. Zudem gab es wegen der Kleinen Eiszeit immer wieder Hungersnöte und Mitteleuropa steuerte auf eine massive Inflation zu. Das alles wurde in dieses Krisenszenario mit eingespeist.
Heue scheint es absurd, ein Naturphänomen auf eine gesellschaftlich-politische Lage zu beziehen. War das im frühen 17. Jahrhundert ein gängiges Denkmuster?
Viele Menschen gingen damals vom direkt bevorstehenden Ende der Zeiten aus und warteten nur auf entsprechende Zeichen. Wie dieses Ende aussah, wusste man aus der Offenbarung des Johannes. Es begann mit den apokalyptischen Reitern, die losgelassen wurden, um die Menschen für ihre Sünden zu züchtigen. Der Krieg in Böhmen hatte begonnen, die Kleine Eiszeit führte gepaart mit der Inflation zu periodischen Hungersnöten, so dass Seuchen und Krankheiten häufiger als sonst tödlich endeten. Die apokalyptische Trias war real geworden.
War der Dreißigjährige Krieg vor allem ein Konfessionskrieg?
Natürlich spielte die Glaubensfrage eine wichtige Rolle. Aber in erster Linie ging es um Macht: Konnte Deutschland in eine stärker zentralisierte Monarchie überführt werden? Oder blieb der Kaiser an die Reichsstände gebunden, sodass das Reich nur handlungsfähig war, wenn die beiden sich verständigten? Die auswärtigen Mächte - Dänen, Schweden und Franzosen - intervenierten nicht, weil das Reich ohnmächtig war und sie sich einen Gewinn versprachen. Sie griffen ein, weil sie Angst vor einem unter dem Kaiser geeinten Reich hatten, das dann in Verbindung mit der spanischen Macht der Habsburger zum Hegemon Europas geworden wäre.
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Eigentlich gab es zwischen 1618 und 1648 gar nicht den einen Krieg, sondern verschiedene Einzelkriege und Friedensschlüsse mit wechselnden Akteuren. Was also eint diese Periode?
Die Art, wie der Krieg von Zeitzeugen wahrgenommen wurde. Spätestens das Erscheinen des Kometen veranlasste relativ viele Zeitgenossen, tagebuchartige Aufzeichnungen zu führen. In diesen Texten und auch in Flugschriften wurde der Krieg zusammenhängend gezählt. Es gibt Schriften, die vom 8., vom 18. oder vom 25. Jahr des Krieges berichten - und die zählten alle ab 1618. Das ist ein starkes Argument, diesen Krieg als einen zusammenhängenden Krieg wahrzunehmen.