Es geht um nicht weniger als die Grundsatzfrage: Bringt Freihandel Wohlstand und Reichtum - oder eine turbokapitalistische Gesellschaft ohne Rücksicht auf Verluste? Am Freitag soll Ceta, das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, in Ottawa vorgestellt werden. Bei dem geplanten Vertrag geht es, ähnlich wie bei TTIP, um Zoll- und Standardangleichungen zwischen den Kontinenten. Der Druck ist hoch, denn scheitert Ceta, könnte dies das Aus für TTIP bedeuten.
Und so werben Gegner wie Befürworter kurz vor Abschluss der Verhandlungen nochmals besonders laut für ihre Argumente: Verbraucherschützer kritisieren Ceta als intransparent und gefährlich, Wirtschaftpolitiker sehen es als Chance für Wachstum und Arbeitsplätze.
Bundespräsident Joachim Gauck versucht die aufgeheizte Stimmung zu beruhigen, stellt sich zugleich aber auf die Seite der Befürworter: "Nur indem man intensiv erklärt, was der Vorteil ist, gelingt es auch, die Öffentlichkeit zu überzeugen", sagte er zum Auftakt seines viertägigen Staatsbesuchs in Kanada.
Wird Wasser bald zu einem Handelsgut?
Doch intensiv erklärt haben die Befürworter des Abkommens ihren Standpunkt bereits. Geholfen hat es offenbar wenig: Der links-liberale Thinktank Canadian Center for Policy Alternatives (CCPA) hat eine Studie veröffentlicht, die vor den Folgen von Ceta warnt. Die Experten kritisieren die geplante Investitionsschutzklausel, die Unternehmen ermöglichen soll, bei Wettbewerbsnachteilen gegen Regierungen zu klagen. Weitere Kritikpunkte sind aufgeweichte Patentregeln, die Pharmafirmen erlauben, ihre Medikamente später als bisher für Generika-Hersteller freizugeben.
"Ceta ist ein durchschlagendes Grundsatzpapier, das viele Punkte betrifft, die nur vage mit Handel zu tun haben", schreiben die Autoren. Betroffen seien etwa Regelungen zum Schutz des geistigen Eigentums, zur Reisefreiheit von Arbeitnehmern und regionale Ernährungspolitik. Auch eine Privatisierung der Wasserversorgung soll trotz Nachbesserungen im Vertrag weiterhin möglich sein.
Es wurden "wunderbar" Ängste geschürt
Der CDU-Europaparlamentarier Daniel Caspary versucht zu beschwichtigen: Eine Zwangsprivatisierung der Wasserversorgung werde man verhindern, sagte er im Deutschlandfunk. Und überhaupt hätten es die Gegner von TTIP "wunderbar geschafft", unbegründete Ängste gegen beide Vertragswerke zu schüren. Er selbst kenne niemanden im Europäischen Parlament, der den Verbraucherschutz mittels TTIP oder Ceta schwächen möchte.
Das Problem bei der Debatte: Solange der Vertragstext nicht öffentlich ist, bleiben Casparys Worte Versprechen. "Eventuell", "womöglich" und "aller Voraussicht nach" sind oft gebrauchte Begriffe in der Diskussion um das Abkommen - von Kritikern und Befürwortern.
Kein Grund zur Panik. Wirklich nicht?
Und so steht der Ceta-kritischen Studie des Canadian Center for Policy Alternatives ein am Montag vom Bundeswirtschaftsministerium präsentiertes Gutachten entgegen. Die beauftragten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts haben speziell die umstrittenen Klauseln des Investitionsschutzes untersucht und sind zu dem Ergebnis gekommen: Kein Grund zur Panik. Die Sorge, ausländische Konzerne könnten auf dem Umweg des Handelsabkommens zusätzliche Rechte erstreiten, sei unbegründet.
Auch der CDU-Europaparlamentarier Daniel Caspary will die Kritiker besänftigen: Man wolle das Abkommen nicht um jeden Preis durchwinken. "Wenn die genauen Inhalte vorlägen, bliebe genügend Zeit, um mit Bürgern, der Industrie, Gewerkschaften und im Parlament zu diskutieren", verspricht Caspary. "Ob ich dem Abkommen am Ende zustimme, wird davon abhängen, ob wir das bekommen, was wir bestellt haben oder ob sich ein trojanisches Pferd darin versteckt."
Ob das überhaupt möglich ist, bleibt unklar: EU-Handelskommissar Karel De Gucht hat dem Wunsch nach Nachverhandlungen am Ceta-Abkommen eine klare Absage erteilt. "Wenn wir die Verhandlungen neu eröffnen, ist das Abkommen tot."