Die Grünen: Wahl in Hamburg:Die Reifeprüfung

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Mit der Wahl in Hamburg wird es ernst für die Grünen: Dann zeigt sich, was von den schönen Umfragewerten der vergangenen Monate bleibt. Viel kann sich nun bewegen für die Grünen. Oder schiefgehen.

M. Bauchmüller, R. Deininger, J. Schneider, M. Widmann

Das Dilemma der Grünen lässt sich in Hamburg schnell bei einem Spaziergang erfassen, vor allem für jeden, der ein gutes Gedächtnis hat. Links und rechts der Straßen haben sie Plakate aufgestellt, deren Slogans seltsam entrückt wirken. Der Wähler wird von einem Mann im Anzug auf dem Fahrrad und mit der Parole "Du Öko!" umworben oder mit dem Slogan "Du bist Königin!". Da geht es um mehr Bürgerbeteiligung.

Vor drei Jahren war das anders. Da versprachen sie, das umstrittene Kohlekraftwerk Moorburg zu verhindern. Sehr konkret warben sie für ihre große Schulreform. Es ist kein Zufall, dass Hamburgs Grüne jetzt bescheidener auftreten. Sie haben bittere Erfahrungen gemacht, die Parteifreunden anderswo noch bevorstehen könnten. In der schwarz-grünen Koalition sind sie mit ihren wichtigsten Anliegen gescheitert. Die Schulreform zerplatzte bei einem Volksentscheid, Moorburg wird gebaut. Bewusst verzichten sie nun auf konkrete Forderungen und setzen auf allgemeine Botschaften. "Auch um nicht mit demselben Kopf gegen die nächste Wand zu laufen", sagt Parteichefin Katharina Fegebank. Es soll ein Zeichen sein, dass man aus Fehlern lernt.

Ob es funktionieren wird? Für die Grünen ist die Bürgerschaftswahl in Hamburg der erste große Test. Er wird zeigen, was vom bundesweiten Höhenflug bleibt. "Alle Demoskopen haben uns gesagt, dass die Umfragen außer der Reihe waren", sagt Parteichefin Claudia Roth, noch erkältet vom letzten Wahlkampfauftritt in Hamburg. "Es war wichtig, dass wir im Hype ruhig reagiert haben." Nun sei die Stimmung "angespannt ruhig". Viel kann sich nun bewegen für die Grünen. Oder schiefgehen.

Die Erwartungen sind hoch nach den Umfragen der vergangenen Monate. Ministerpräsident in Baden-Württemberg? Regierende Bürgermeisterin in Berlin? So vieles scheint neuerdings greifbar zu sein für die Grünen.

Am Ende dieses Jahres, nach sieben Länderwahlen, könnten sie in allen Landtagen sitzen. "Das wäre für die Grünen der größte Erfolg in der Geschichte", schwärmt Roth. Nur könnte auch alles anders kommen: Bei so guten Umfragen ist der Absturz nicht fern. In Baden-Württemberg, wo die Grünen mit Winfried Kretschmann Ende März sogar auf das Amt des Ministerpräsidenten zielen, liegen sie fünf Wochen vor der Wahl bei 24 bis 25 Prozent. Das ist viel für die Grünen. Aber mager im Vergleich zu den 30 Prozent, die sie noch im Herbst hatten.

Damals bestimmte der Streit um den Bahnhof Stuttgart 21 die Agenda, doch der hat an Kraft verloren. Und in die Euphorie über die immer noch mögliche grün-rote Mehrheit mischt sich langsam die Ahnung, dass es vielleicht doch nicht reichen könnte. Insgeheim sprechen das einige auch aus. Eine große Koalition zwischen CDU und SPD gilt als denkbares, wenn nicht wahrscheinliches Szenario.

Die Hamburger Grünen gehen optimistisch in die Bürgerschaftswahl am kommenden Sonntag. Sie können mit Zugewinnen rechnen. (Foto: picture alliance / dpa)

Doch die offizielle Lesart ist anders. "Der Politikwechsel in Baden-Württemberg ist nach wie vor zum Greifen nah", sagt Landeschef Chris Kühn. "Der grüne Teppich fliegt nicht mehr im Weltall, aber er ist nach wie vor auf Kurs." Der grüne Teppich, das ist jener, von dem manche schon behaupteten, die Partei werde bald damit abheben.

Claudia Dalbert wird das bestimmt nicht passieren. Sie ist die Spitzenkandidatin der Grünen in Sachsen-Anhalt. In keinem Land sind die Grünen schwächer vertreten, trotzdem wollen sie in vier Wochen hier in den Landtag einziehen - sieben Prozent sagen die Umfragen voraus, es würde reichen. "Damit hätten wir uns verdoppelt", frohlockt Dalbert. Auch habe sich ein Drittel der Wähler noch nicht entschieden. "Also Ärmel hochkrempeln."

Aus dem Stand kämen die Grünen damit wieder in den Landtag, jahrelang waren sie außen vor. So wie in Mecklenburg-Vorpommern, wo im Herbst gewählt wird. Oder in Rheinland-Pfalz. Dort haben die Grünen bittere Jahre hinter sich. Vor fünf Jahren, bei der letzten Wahl, sind sie aus dem Landtag geflogen. Das lag nicht nur daran, dass im ländlichen Rheinland-Pfalz das grüne Milieu fehlt. Die Partei war auch lange ein chaotischer, zerstrittener Haufen. Tiefe Gräben durchzogen sie. Ein gewisser Joschka Fischer stellte einst fest: Es gebe in Rheinland-Pfalz weniger Fundis und Realos, dafür vor allem Banalos.

Das hat sich offenbar geändert. In den Umfragen stehen die Grünen vor der Wahl am 27. März bei zwölf Prozent. Es könnte eine triumphale Rückkehr in den Landtag werden, sie könnten sogar als Königsmacher von SPD-Ministerpräsident Kurt Beck gleich in die Regierung einziehen. Dieses Comeback haben sie vor allem einer Frau zu verdanken: Eveline Lemke. Die selbständige Unternehmensberaterin, 46 Jahre alt, restrukturierte nach der verlorenen Wahl die zerfallende Landespartei. "Es gab eine brutale Aufarbeitung", sagt sie.

Und doch dürfte es für die Grünen schwer werden, sich nach der außerparlamentarischen Opposition gleich in einer Regierung zurechtzufinden. Erfahrenes Personal ist rar. Das Wahlprogramm wirkt mitunter recht idealistisch: In der Bildungspolitik zum Beispiel sollen langfristig Gymnasium, Noten und auch das Sitzenbleiben abgeschafft werden. Sollte es im März also tatsächlich zu einem rot-grünen Bündnis kommen, stehen komplizierte Verhandlungen an.

Aber Rheinland-Pfalz läge mit so einem Bündnis voll im Trend: Denn in Bund und Ländern vollzieht sich derzeit eine Art rot-grüne Renaissance, ausgehend von der Koalition in Nordrhein-Westfalen. "Das Verhältnis dort ist definitiv ein anderes, als es jemals war", sagt Grünen-Parteichefin Roth. "Die Nähe zur SPD ist eine viel größere als zu dieser CDU/CSU." Das sieht selbst der baden-württembergische Spitzenkandidat Winfried Kretschmann so, der als Konservativer gilt. Zwar halte er nichts von "Ausschließeritis", sagt er. "Aber es riecht nicht wirklich nach Schwarz-Grün."

Das Thema ist nach der gescheiterten Koalition auch in Hamburg erledigt. auch dort bahnt sich eine rot-grüne Koalition an, wenn nicht SPD-Kandidat Olaf Scholz die absolute Mehrheit davonträgt. Dort können die Grünen zwar mit Zugewinnen rechnen, aber die Umfragewerte sind zuletzt schlechter geworden. Also haben sie ihre Strategie ergänzt, um ein etwas konkreteres Zehn-Punkte-Programm. So griffig wie die Wahlversprechen vom letzten Mal ist das freilich nicht: "Für Grün in der Stadt" oder "Für ein gutes Bildungssystem" steht darin, unterfüttert mit konkreten Zielen. Und das Kohlekraftwerk Moorburg taucht auf den Wahlplakaten der Grünen auch wieder auf. Nächtens werden sie anonym mit Aufklebern versehen: "Danke für Moorburg".

© SZ vom 18.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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