Die Grünen:Im Höhenrausch

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Seit Monaten sonnen sich die Grünen in einem nie dagewesenen Erfolg, den sie sich selbst nur teilweise erklären können. An der Parteibasis wächst indes das Unbehagen.

Michael Bauchmüller

Am Dienstag waren die Werber bei den Grünen. Stundenlang saß die Parteispitze im kleinen Kreis mit den Leuten der Werbeagentur "Zum goldenen Hirschen" zusammen. Gemeinsam forschten sie nach den richtigen Botschaften der Grünen. Auch einen kleinen Videoclip hatten die Werbeexperten mitgebracht, einen Zusammenschnitt von FDP-Slogans der vergangenen Jahre, stets ging es um zu hohe Steuerlasten. So wie der FDP solle es den Grünen doch nicht ergehen, zugeschnitten nur auf ein Thema, mit dem sie in der Regierung dann auch noch untergehen. Möglichst breit und glaubwürdig, so rieten die Kreativen, sollten sich die Grünen aufstellen. Die Parteispitze sah das ähnlich.

Sie klettern und klettern und klettern: Der Höhenflug der Grünen in der SZ-Grafik. (Foto: N/A)

Seit Monaten sonnt sich die Partei in einem Erfolg, den sie sich selber nur teilweise erklären kann. In Baden-Württemberg, wo in einem halben Jahr gewählt wird, erreichen sie inzwischen in Umfragen doppelt so hohe Werte wie bei der jüngsten Landtagswahl - 24 Prozent. Rot-Grün, so fanden Demoskopen für den Stern heraus, könnte bald die schwarz-gelbe Koalition ablösen. In Berlin, wo womöglich bald Fraktionschefin Renate Künast gegen den SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit antreten wird, liegen sie mittlerweile bei 27 Prozent - und wären damit stärkste Kraft. Auf Bundesebene taxieren manche Demoskopen die Grünen auf 19 Prozent. So viel hatten sie nie in ihrer 30-jährigen Geschichte.

Glaubwürdigkeit, so heißt es in der Parteispitze, sei der Schlüssel zum Erfolg. "Das heißt nicht, das wir uns jetzt zurücklehnen können", sagt Parteichef Cem Özdemir. "Im Gegenteil, wir müssen die Ärmel hochkrempeln, damit es so bleibt." Denn ein Gutteil des Erfolges, so auch die interne Analyse, geht nicht auf das Konto der Grünen, sondern auf das der anderen: sei es die Performance von Wowereit in Berlin oder jene der schwarz-gelben Koalition im Bund. Lang debattierte kürzlich der Parteirat über die sensationellen Zahlen. Allerdings ohne konkrete Ergebnisse. "So richtig hat keiner einen Plan, was daraus folgt", hieß es später in Teilnehmerkreisen. Und während in der Parteizentrale eine eigene Arbeitsgruppe die Nachwuchsförderung forciert und nach den richtigen Strukturen für eine wachsende Partei sucht, macht sich an der Basis Unbehagen breit.

Schließlich könnte der Stimmenzuwachs zunehmend auf Kosten des Profils gehen. "Es ist viel schwieriger, bei 20 Prozent den Markenkern zu erhalten als bei zehn Prozent", sagt Max Löffler, Chef der Grünen Jugend. Schon schwant ihm ein böses Erwachen - nämlich dann "wenn man an die Macht kommt, wenn man Politik genauso für Steineschmeißer in Kreuzberg wie für Kaffeetrinker in Prenzlauer Berg machen will".

Dann sei der Punkt erreicht, an dem die Grünen erklären müssten, was sie wollen.

Auf der Suche nach konkreten Inhalten sollen nun Zukunftsforen weiterhelfen, die Parteispitze setzte sie in dieser Woche ein. Sie heißen "Quo vadis Europa" oder "Ökologie, Ökonomie und globale Gerechtigkeit", sie widmen sich der Demokratie im Allgemeinen oder den künftigen Herausforderungen der Kommunen im etwas Spezielleren. Das Ziel ist inhaltlicher, aber auch struktureller Natur. Denn einerseits sollen die Foren in einen Zukunftskongress münden und irgendwann dann auch in ein neues Wahlprogramm. Zum anderen sollen sie helfen, gezielt den Parteinachwuchs einzubeziehen, auch in den Bundesländern.

Doch der inhaltliche Spagat ist schwierig. Da wäre etwa das Forum "Antworten auf die auseinanderfallende Gesellschaft": Einerseits soll es Wege suchen, den Graben zwischen Arm und Reich zu schließen, andererseits "Absturzängste" der Mittelschicht aufgreifen. "Die Angst vor Statusverlust reicht bis in die Mitte der Gesellschaft", heißt es im Beschluss des Vorstands. Jene Mitte, in der sich die Partei zunehmend sieht.

Immerhin fühlt die sich angesprochen. Am Donnerstag machten Vertreter des Führungskräfteverbands ULA in der Grünen-Zentrale ihre Aufwartung, ein Verband mit 50000 Mitgliedern. "Wir sind genau das Klientel, das sich leisten kann, was die Grünen fordern", sagte ULA-Präsident Joachim Betz. Viele Führungskräfte hätten sich der Partei geöffnet. "Ich glaube", befand Betz, "die Grünen sind in der Mitte angekommen."

© SZ vom 04.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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