Die EU und die Griechenland-Krise:Viel mehr Europa, bitte!

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In der Griechenland-Krise geht es längst nicht mehr ums Geld, sondern um das größte Kapital, das die Europäische Union besitzt: ihre Glaubwürdigkeit. Das desaströse Krisenmanagement macht Bürger, Verbündete und Finanzjongleure nervös. Es gibt nur eine Alternative zur Bedeutungslosigkeit: Die 27 Regierungschefs müssen es wagen, Europa noch einiger zu machen.

Cerstin Gammelin

Es ist lange her, dass europäische Regierungschefs kühn und visionär waren, getrieben gar von der Idee eines geeinten, starken und friedlichen Europa, einer Gemeinschaft, die auf der Weltbühne eine große Rolle spielt. Es ist lange her: Am 7.Februar 1992 unterschrieben sie den Vertrag von Maastricht. Die Außen- und Sicherheitspolitik wurden europäisch, Justiz und Inneres ebenfalls. Und es schlug die Geburtsstunde des Euro. Franc, Deutsche Mark, Gulden und Drachme wurden zu Auslaufmodellen erklärt. Jetzt, kurz vor dem 20-jährigen Jubiläum, schlägt die Ironie des Schicksals zu. Der Euro, Symbol europäischer Einigung, ist in Gefahr. Die Union muss plötzlich beweisen, dass es sie überhaupt gibt.

Zum Beitritt Rumäniens 2007 produzierten Näherinnen dort im Akkord EU-Fahnen. Heute gibt die Schuldenkrise wenig Anlass zu europäischer Euphorie. (Foto: AP)

In dieser Krise geht es längst nicht mehr um griechische oder andere Schuldenberge. Auch nicht um das Geld, mit dem diese Berge abgetragen werden sollen. Geld ist, so absurd das klingt, genügend da. Nein, die Europäische Union verspielt gerade das größte Kapital, das sie besitzt: ihre Glaubwürdigkeit. Nach vielen Monaten desaströsen Krisenmanagements zerbröselt das Vertrauen, dass Europa die Krise miteinander bewältigen kann.

Die Bürger fragen misstrauisch, ob es richtig sein kann, ein Milliardenpaket nach dem anderen zu schnüren für ein Land, das korrupte Eliten regieren. Sollte Griechenland nicht die Union verlassen und sich neu bewerben? Internationale Verbündete wie die Amerikaner beobachten genau, ob die ohnehin komplizierte EU ein zuverlässiger Partner bleibt. Wird die Gemeinschaft überleben? Und dann sind da Finanzjongleure, die den Wettlauf zwischen steigenden Zinsen und hektischen Rettungsaktionen befeuern und gewinnen wollen - wer mag voraussagen, wie der Lauf ausgeht?

Zur Beunruhigung trägt bei, dass die schwache Vorstellung, die Europa gerade abliefert, offensichtlich keinem aktuellen Schwächeanfall, sondern einem strukturellen Mangel geschuldet ist. Die Krise deckt schonungslos die Schwäche auf, an der die Gemeinschaft von jeher leidet; man parliert europäisch und handelt national.

Die 27 nationalen Regierungen haben vier europäische Präsidenten geschaffen, aber keine klare Führung. Selbst in der Krise ändert sich das nicht. Europa fürchtet, ein paar Buschfeuer in der Peripherie könnten einen Flächenbrand auslösen - und versucht trotzdem, mit ein paar Eimern Wasser zu löschen statt den Großeinsatz auszurufen. Noch schwächer kann sich die Gemeinschaft nicht präsentieren.

Was Europa jetzt dringend braucht, ist eine ehrliche Geschäftsordnung für die Krise und danach. Die 27 Staats- und Regierungschefs müssen wirklich nachdenken und erklären, wohin sie mit Europa wollen. Zwei Richtungen sind möglich: Sie können Europa einiger machen - oder aber die Zusammenarbeit auf eine Freihandelszone beschränken. Letzteres würde alle EU-Länder von der Weltbühne in das bedeutungslose Parkett verbannen; es wäre das Ende des großen europäischen Projektes, der Euro würde wohl mit einigen Ländern überleben.

Europa einiger machen, das muss also das Ziel sein: Es verlangt, dass die 27 Regierungschefs eine neuartige Form der Konföderation souveräner Staaten wagen müssen. Dem Binnenmarkt, dem Euro und der Zentralbank müssten ein Europäischer Währungsfonds und ein europäisches Finanzministerium hinzugestellt werden. Diese Lösung tragt den Titel: viel mehr Europa. Die Konzepte liegen bereit.

Von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble stammt die Idee, den Europäischen Währungsfonds zu gründen. Es ist kaum zu glauben, dass die weltweit zweitgrößte Währung keine solche unabhängige Institution hat. Der Fonds stellt den Euro-Ländern finanzielle Mittel bereit, finanziert über gemeinsam garantierte Anleihen. Er würde den Zusammenhalt stärken, das Ausspielen der Mitgliedsländer untereinander verhindern - und den Euro sicherer machen.

Gemeinschaftlich garantierte Anleihen könnten private Gläubiger motivieren, sich an den Kosten von Staatskrisen zu beteiligen. Um sie zu überzeugen, Erlöse aus fälligen Staatspapieren wieder in neue Papiere zu investieren, muss deren Rückzahlung sehr sicher gemacht werden. Diese Sicherheit bieten Euro-Anleihen.

Lange hat der Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, gewartet, bis er sich mit der Idee eines europäischen Finanzministeriums in die Öffentlichkeit wagte. Dieses soll Haushaltspolitik und Wettbewerbsfähigkeit beaufsichtigen sowie in die Wirtschaftspolitik verschuldeter Länder eingreifen können. Natürlich müssen dann anderswo Behörden geschlossen und EU-Verträge geändert werden. Vielleicht ist einiges zu ehrgeizig für den Moment. Aber das ist kein Grund, es nicht anzupacken.

Zur Vorbereitung können die Euro-Länder schon mal üben, als Währungsgemeinschaft aufzutreten - und zwei überfällige Vorhaben umsetzen: Sie könnten die Stimmenanteile der einzelnen Euro-Länder im Weltwährungsfonds bündeln und auf einen Sitz vereinen. Und sie könnten dafür sorgen, dass der Präsident des Euro-Klubs künftig mit am Tisch der Weltregierung, dem Club der zwanzig größten Volkswirtschaften, sitzt. Der 20.Geburtstag von Maastricht ist Anlass genug, mutig zu sein. Wenn die Richtung klar ist, kehrt das Vertrauen zurück.

© SZ vom 20.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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