Machtgefüge in der Eurokrise:Deutschland - europäische Macht wider Willen

Lesezeit: 3 Min.

Deutschland war ein Großmeister der Kunst, sich kleinzumachen, doch in der Eurokrise geht das nicht mehr. Die Bundesrepublik steht nun als dominierende Macht in der Mitte Europas - und diese Macht verbreitet Furcht bei anderen Euro-Staaten. Die deutsche Regierung darf deshalb Festigkeit in Sachen Euro-Stabilität nicht mit Arroganz verwechseln. Denn eine Einigung ist lebenswichtig.

Joachim Käppner

Nein! Nein! Nein!" titeln in deutscher Sprache Zeitungen in Athen. Sie zeigen Angela Merkel, an der Griechenland wie eine Marionette hängt, und das ist noch eines der harmloseren Bilder, es gab schon Hitlerbärte und Knobelbecher. Italiens Premier Mario Monti, immerhin ein Veteran der europäischen Einigung, warnt vor antideutschen Protesten, wenn Berlin nicht Respekt vor den Sparbemühungen seines Landes zeige; beim Gipfel im streikgelähmten Brüssel galt Merkel als "eiserne Kanzlerin", eine Wiedergängerin Otto von Bismarcks, des eisernen Kanzlers, der die Deutschen 1871 einte und zur Großmacht werden ließ.

Bundeskanzlerin Angela Merkel beim EU-Gipfel in Brüssel. (Foto: REUTERS)

Deutschland steht in der Eurokrise etwas ratlos da. Es steht dort, wo es nach 1945 niemals mehr stehen wollte: als dominierende Macht in der Mitte Europas. Seine Versuche im 20. Jahrhundert, dies mit Kanonen und Panzern zu werden, endeten in Apokalypsen aus Blut und Feuer, aber eben darum gibt es dieses Deutschland nicht mehr. Der "lange Weg nach Westen", den der Historiker Heinrich August Winkler beschreibt, war der Resozialisierung halber ein Weg der demonstrativen Bescheidenheit, ja der Demut. Er führte, außer über Amerika und die Nato, über die Einigung Europas.

Die Bonner Republik war ein Großmeister der Kunst, sich kleinzumachen. Aber das geht nun nicht mehr, wenn einzig Deutschland wirtschaftlich stark genug zu sein scheint, um für die Aktion "Rettet den Euro!" zu bürgen.

Für die Deutschen ist die neue Rolle ungewohnt. Viele Hoffnungen der Mitgliedsstaaten richten sich auf sie, aber auch ebenso viele Ängste. Außenpolitisch neigt die Republik noch immer zur Zurückhaltung, wie das deutsche Libyen-Fiasko 2011 zeigte, als Großbritannien und Frankreich ohne Solidarität Berlins den Rebellen den Weg nach Tripolis freibombten. Bedeutsamer für Europas Zukunft aber sind Wirtschaft und Währung, die beiden großen Vorreiter, denen die politische Integration nur schleppend folgt.

Schrill und hässlich

Und genau hier sind die Deutschen die Mustermänner Europas gewesen, gestützt auf die Partnerschaft mit dem einstigen Erzfeind Frankreich. In Bonn saß die ökonomische Power, in Paris die politische. Aber heute hat Frankreich nicht nur das Triple A der seelenlosen Ratingagenturen verloren, sondern auch viel Kraft, die dem oft beschworenen gemeinsamen Motor nun fehlt.

Die nationalistischen Töne aus den angeschlagenen Staaten des Südens sind schrill und hässlich. In ihnen zeigt sich das Wesen des Nationalismus, der alten Versuchung des Kontinents. Sie bricht leicht wieder hervor, eher verzweifelt in Griechenland, bizarr-peinlich im heutigen Ungarn, mörderisch in den Jugoslawienkriegen 1991 bis 1999.

Wie diese gezeigt haben: Das einzige Gegengift ist das vereinte Europa. Kein Land hat der Versuchung des Nationalismus schrecklicher nachgegeben als Deutschland; es trägt in der kollektiven Erinnerung noch immer schwer an den Verbrechen, mit denen es Europa überzog.

Ja, es ist schändlich, das zu instrumentalisieren, auch in Griechenland, dessen Parteien ihren Staat selbst in den Ruin gewirtschaftet haben. Aber es sollte jede deutsche Regierung mahnen, Festigkeit in Sachen Euro-Stabilität nicht mit Arroganz der Macht zu verwechseln. Denn diese Macht ist nun sehr real, und sie verbreitet Furcht. Die Idee, den Griechen einen Sparkommissar aufzuzwingen, war unsensibel, ebenso die Forderung des FDP-Chefs Philipp Rösler nach "Führung und Überwachung Griechenlands". Die Deutschen haben Griechenland schon einmal geführt, und so wenig die Massaker von Distomo und Kefalonia mit der Eurokrise heute zu tun haben: Solch törichte Tiraden lassen Hysterie und Abwehr nur noch wachsen.

Viele Deutsche sehen genau in dieser Abwehr alle Vorurteile bestätigt, die sie seit langem gegen das Haus Europa hegen: Zahlen nicht wir die Rechnungen, beachten peinlich genau die Hausordnung, subventionieren die Mitbewohner, und nur Undank ist der Lohn? Doch Deutschland ist nicht Europas Gutmensch, der all dies hehrer Ideale zuliebe schultert. Finanziell und ökonomisch beruht der Wohlstand der Bundesrepublik auf Europa, zwei Drittel aller Ausfuhren der Exportnation gehen dorthin.

In Wahrheit beweist gerade die schwerste Krise seit Beginn des Einigungswerks, wie lebenswichtig eben diese Einigung ist. Sie zeigt, dass gemeinsame Währung, freier Warenverkehr, offene Grenzen und ja, die Völkerfreundschaft nicht zum Nulltarif zu haben oder selbstverständlich sind. Es handelt sich um historisch einmalige Errungenschaften eines Kontinents, dessen Völker bis vor zwei Generationen ihre Streitfragen über Kriege austrugen. Heute gibt es Mittel und Wege, gemeinsame Institutionen, deren große Probe nun bevorsteht.

Deutschlands neue Macht ist, sinnvoll eingesetzt, die Macht der Beharrlichkeit, den Weg der Einigung und des soliden Wirtschaftens weiterzugehen. Es muss überzeugen statt diktieren, es ist auf Europa genauso angewiesen wie die Griechen. Mit Europas Union ist es wie mit der Demokratie, über die Winston Churchill einst sagte, sie sei eine sehr schlechte Form des Zusammenlebens - nur gebe es leider keine bessere.

© SZ vom 01.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: