30 Jahre Deutsche Einheit:Weitervereinigen

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Potsdam hat sich hergerichtet für die Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit, die coronabedingt etwas kleiner ausfallen. (Foto: dpa)

Bundespräsident Steinmeier appelliert an den Gemeinsinn, Günther Jauch scheitert mit einer Gesprächsrunde und die Unzufriedenen machen ihrem Ärger draußen Luft: Wie die Feierlichkeiten zu 30 Jahren Deutscher Einheit verlaufen sind.

Von Jan Heidtmann, Potsdam

30 Jahre Deutsche Einheit, für Sven Schreiber stellt sich das so dar: "Jetzt, wo wir dabei sind, die Einheit zu vollenden, soll Schaeffler geschlossen werden." Schreiber arbeitet seit mehreren Jahrzehnten für den Autozulieferer, das Werk im brandenburgischen Luckenwalde soll nun abgewickelt werden. Schreiber und geschätzt 200 weitere Mitglieder der IG Metall haben sich deshalb vor der Metropolis-Halle im Filmpark Babelsberg aufgebaut. Sie tragen grüne T-Shirts und schwenken Fahnen, als mehrere schwarze Limousinen anrauschen. "Einen schöneren Platz hätten sie uns nicht bieten können", ruft ein Sprecher der Gewerkschafter. "Wegen der abgedunkelten Scheiben kann ich zwar sehen, wer drin sitzt. Aber sie sind alle da", jubelt er. "Wir auch", antworten die Demonstranten der IG Metall im Chor.

Tatsächlich hat es etwas von einem Defilee, was sich hier abspielt: Der Bundespräsident, der Bundestagspräsident, die Bundeskanzlerin, Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen, alle fahren sie vorbei auf dem Weg zum Einheitsfestakt in der Metropolis-Halle. Es ist ein imposanter Aufmarsch der politischen Führung der Bundesrepublik, die an diesem Samstag zu 30-jährigen Jubiläum der Einheit zusammenkommt. Und doch sagt Oliver Schmidt, Zeremonienmeister der Brandenburgischen Staatskanzlei, "da blutet einem das Protokollerherz". Brandenburg sitzt derzeit dem Bundesrat vor, deshalb richtet das Land in diesem besonderen Jahr die Feierlichkeiten aus. Geplant war ein Staatsakt mit mehreren tausend Menschen, doch wegen Corona sind es dann gerade einmal 230 geworden. "Das ist extrem bedauerlich", sagt Schmidt und fügt hinzu: "Durch die verringerte Zahl ist für uns die Herausforderung größer geworden." Alle bekannten Routinen solcher Großveranstaltungen funktionierten nicht mehr.

Herausgekommen ist eine Veranstaltung, die mehr für die Liveübertragung im Fernsehen gemacht ist als für die Gäste im Saal. Sie sitzen mit jeweils drei Stühlen Abstand etwas verloren herum. Neben der politischen Spitze des Landes sind es vor allem Menschen, die sich durch ehrenamtlichen Einsatz ausgezeichnet haben. Ihnen Raum in dieser Veranstaltung zu geben, war den Veranstaltern besonders wichtig.

Anna Loos, Sängerin und Schauspielerin, führt dann durch die anderthalb Stunden am frühen Nachmittag. Sie singt auch selber, dazu Roland Kaiser und Mark Forster, es ist ein sehr In-der-Mitte-der-Gesellschaft-Programm, das keinem wehtut. Menschen wie Sven Schreiber vom Autozulieferer Schaeffler kommen jedenfalls nicht vor. Aber das kann auch dem Corona-Protokoll geschuldet sein.

Höhepunkt der Veranstaltung ist die etwa 30-minütige Rede von Frank-Walter Steinmeier. Dabei wird deutlich, wie sehr den Bundespräsidenten die Demonstrationen gegen die Corona-Beschränkungen getroffen haben. Der Moment Ende August, als wenige hundert Menschen mit Reichsflaggen die Stufen des Bundestages erklommen. Der Vergleich zwischen der friedlichen Revolution von 1990 und der Gründung des Deutschen Reichs 1871 prägt einen Gutteil seiner Rede. "Mit eiserner Hand wurde im Kaiserreich nach innen durchregiert. Katholiken, Sozialisten, Juden galten als Reichsfeinde, wurden verfolgt, ausgegrenzt, eingesperrt", sagt Steinmeier. "Heute leben wir in einem wiedervereinten Land, ohne zu erwarten, dass alle gleich sein müssen."

Der Vergleich zwischen 1990 und 1871 bestimmt auch den internationalen Teil von Steinmeiers Rede. Im Unterschied zur Reichsgründung "wurde die Wiedervereinigung von 1990 gerade nicht von Säbelrasseln und Eroberungskriegen begleitet", sagt der Bundespräsident. "Sie wurde international verhandelt, in ein Abkommen gegossen, und eingebettet in eine europäische und internationale Friedensordnung." Letztendlich jedoch sei es jeder Einzelne, der Gemeinsamkeiten schaffe. "Es bleibt unsere Aufgabe, uns auch menschlich näher zu kommen, neugierig zu bleiben, Lebenswelten und Sichtweisen der anderen zu kennen und zu respektieren", so Steinmeier. "Das zeigte sich auch in der kleinen Diskussionsrunde, die wir gerade gesehen haben."

Steinmeier spielt dabei auf TV-Moderator Günther Jauch an, der vor der Rede eine kurze Diskussionsrunde auf der Bühne geleitet hatte. Die Idee dabei war, zum dreißigsten Jahrestag jeweils jemanden im Alter von 90, 60 und 30 einzuladen. Jauchs Wahl war auf die frühere Bildungsministerin Ursula Lehr (90), auf den Musiker Norbert Leisegang (60) und die junge Ronja Büchner gefallen. "Drei deutsche Leben", hieß der Programmpunkt und man kann sagen, dass es eine gute Idee war, die ziemlich komplett gescheitert ist. In etwa 20 Minuten ist nicht einmal ein halbes Leben zu erzählen.

Es kam aber auch daher, dass sich Jauch offenbar kaum auf das Zusammentreffen vorbereitet hatte und lediglich Retortenfragen stellte. Und es lag an Norbert Leisegang, einst Mitbegründer der Gruppe Keimzeit, der in fast bewundernswerter Schnoddrigkeit so gar keine Lust auf dieses Gespräch hatte. Als Jauch ihn nach seiner Wahrnehmung der Wendezeit fragte, verwies Leisegang auf die polnischen Nachbarn. Die würden im Jahr Dreißig danach das Gewese um die Wiedervereinigung überhaupt nicht verstehen. "Nehmt Euch mal nicht so wichtig", heiße es dort. "Wir sehen euch eh alle als Deutsche."

Dass dieser Gemeinsinn im Innern des Landes noch wachsen müsse, da sind sich an diesem Nachmittag die Anwesenden einig. "Es ist wichtig, dass dieser Prozess weitergeht", hatte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke in seiner Rede gesagt. Das beste Schlagwort dazu stammt jedoch ausgerechnet von einem großen Brausehersteller. Unweit der Metropolis-Halle hat er seine Werbebanner kleben lassen. Auf ihnen wird die "Weitervereinigung" gefordert.

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