Deutsch-türkische Kolumne "Die Isartürkin":Die deutschtürkischen Spießer und die Suche nach dem perfekten Obst

Lesezeit: 3 min

In Deutschland gute Pfirsiche zu finden, ist eine große Herausforderung. (Foto: Collage SZ; CC0 1.0 (3))

Wer türkische Wurzeln hat, ist beim Essen äußerst wählerisch. Die einzige Rettung ist Urlaub in der Heimat. Die zwölfte Folge der "Isartürkin".

Von Deniz Aykanat

Wenn ich meine Steuererklärung mache, sammle ich penibel 70-Cent-Belege für Briefmarken, errechne auf die Sekunde genau, wie viel Zeit ich an meinem Laptop für die Arbeit aufgewendet habe (sonst ist es kein Arbeitscomputer!) und messe die Schuhschachtel aus, in der ich wohne (vielleicht doch - bitte, bitte! - ein Arbeitszimmer?).

Nur wenige Hundert Monate später kommt der Steuerbescheid und jedes Mal fürchte ich, aus Versehen den deutschen Staat beschissen zu haben. Gleichzeitig fürchte ich, vom deutschen Staat beschissen worden zu sein. Für beide Vorgehensweisen ist es in diesem Land aber unbedingt nötig, möglichst spießig-korrekt vorzugehen. Und doch kann man es dem deutschen Steuerrecht einfach nicht recht machen.

Es heißt deshalb oft, Deutsche und Südländer passten nicht gut zusammen. Die einen legen ihre Socken zusammen, bügeln ihre Unterhosen und zeigen eigenhändig jeden Falschparker an. Die anderen machen zwei Stunden Siesta, parken wo sie wollen und tragen gar keine Socken.

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:Einkaufen ohne Geld oder die türkische Mülltüten-Logik

Unsere Autorin war mit 19 Jahren das erste Mal in Italien. Als Münchnerin! Als Kind war sie jede Ferien in der Türkei. Und lernte dabei: Das Land ist immer eine Reise wert - egal ob gerade Putsch Nummer drei oder vier ist. Die siebte Folge der "Isartürkin".

Von Deniz Aykanat

Tomaten werden zunächst liebevoll abgetastet

Zumindest im Falle der Türken kann ich aber versichern: Sie passen so gut zur deutschen Spießigkeit wie der Knödel zum Schweinsbraten. Die Pedanterie, Genauigkeit und Pünktlichkeit, für die Deutsche so bekannt sind, kann man tagtäglich in deutschtürkischen Küchen erleben.

Wenn mein türkischer Vater Lebensmittel einkauft, sieht das so aus: Erst einmal werden für den Transport von Lebensmitteln geeignete Tüten, Schachteln und Kartons penibel gefaltet und im Sitz des Mofas verstaut. Seit mindestens zehn Jahren immer dieselben Tüten, Schachteln und Kartons. Ökologisch-deutsch und so.

Wenn meine deutsche Mutter einkaufen geht, dann reißt sie ein Plastiktütchen am Gemüsestand von der Rolle, sucht sich ein paar Tomaten ohne Dellen aus, zahlt und geht.

Mein Vater hingegen fährt mindestens acht verschiedene Supermärkte, Discounter und Marktstände an, um das beste Obst und Gemüse aus dem Angebot herauszufiltern. Tomaten werden nicht einfach gekauft, sondern zunächst liebevoll abgetastet und beschnüffelt. Währenddessen läuft ein leise gemurmeltes Lamento vom Band, in dem Worte wie "Gewächshaus", "Wasser", "Holland" und "fade Gschicht" vorkommen. Dazu passend ein missbilligender Gesichtsausdruck.

Danach sind die Pfirsiche dran, in Deutschland eine große Herausforderung. Die flaumige Schale wird sanft gedrückt, am Stiel geruckelt, geschnuppert - und alles wieder zurück gelegt. Fade Gschicht.

Zum nächsten Supermarkt. Dann endlich echte Ware (zufällig aus der Türkei!), die sofort palettenweise gekauft und mit drei Dutzend Spanngurten auf dem Mofa befestigt wird.

In der Hofeinfahrt zu unserer Wohnanlage in München werden die türkischen Anwohner, wenn sie vom Einkaufen zurückkommen, öfters gefragt, ob sie den Hunger in Afrika kurieren wollen.

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Denn Türken sind besessen von Essen. Obwohl ... das sind die Deutschen auch. Ich kenne sonst kein Land, in dem es vom Äthiopier bis zum Grönländer für jede Nationalküche ein Restaurant gibt.

Genauer gesagt sind Türken also vor allem besessen von Lebensmitteln. Eine Tomate ist nicht einfach nur eine Tomate, sondern Quell enormer Lebensfreude und Diskussionen.

"In Deutschland kriegen wir ja so was gar nicht mehr"

Und vor allem Deutschtürken können mit einer dermaßen deutschen Spießigkeit über türkische Küche und Lebensmittel schwadronieren, dass Loriot seine helle Freude daran gehabt hätte.

Türkei-Urlaube der Familie Aykanat beginnen nämlich so:

Erster Abend, Restaurant

Mutter: "Hast du diesen Salat probiert? Göttlich! Diese Tomaten ... die Sonne höchstpersönlich im Tomatenkostüm."

Vater: "Da braucht man ja eigentlich nichts mehr dazu. Keine Gewürze, nicht mal Salz. Höchstens einen Schuss Olivenöl. Türkisches natürlich!"

Ich: "Sogar die einfachsten Dinge schmecken hier einfach viel besser. Da brauch' ich gar kein Rinderfilet und pi pa po. Ein einfacher Tomatensalat mit Gemüsezwiebeln und Petersilie. Perfektion!"

Vater zum Kellner: "Mein Bruder, wirklich hervorragend. In Deutschland kriegen wir ja so was gar nicht mehr. Schmeckt alles nach Wasser! Ich weiß gar nicht, wie wir da eigentlich noch existieren können."

Zurück aus dem Urlaub (ja, wir kommen trotz des hiesigen Gemüses doch immer wieder zurück) bringe ich meinem Vater ein korrektes Netz Mandarinen vom Viktualienmarkt mit. Natürlich penibel vorgekostet und für hervorragend befunden.

Mein Vater lässt das Netz am Zeigefinger vor seinen Augen hin und her baumeln und kneift die Augen zusammen: "Das sind keine Mandarinen! Höchstens Clementinen, wenn nicht gar Pomeranzen!"

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