Demonstrationen:Erst verharmlost, dann verdammt? Gewandelter Umgang mit Pegida

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Sigmar Gabriels Besuch bei einer Diskussion mit Pegida-Anhängern und -Gegnern im Januar stieß auf innerparteiliche Kritik. (Foto: Erik Olsen/Archiv)

Berlin (dpa) - Zu Jahresbeginn nahm sich Sigmar Gabriel noch eine Stunde Zeit für eine Veranstaltung mit Pegida-Anhängern.

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Berlin (dpa) - Zu Jahresbeginn nahm sich Sigmar Gabriel noch eine Stunde Zeit für eine Veranstaltung mit Pegida-Anhängern.

In der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung setzte sich der SPD-Chef an einem Freitagabend Ende Januar in eine Diskussionsrunde mit Menschen, die sich vor einer Überfremdung Deutschlands oder gar einer „Islamisierung des Abendlandes“ fürchten.

Rein privat sei der Besuch, versicherte Gabriel damals und mahnte, man müsse mit Leuten, die Sorgen hätten, tabulos reden. Aber mit Fremdenfeinden sprechen? Das sorgte für Kopfschütteln bei Oppositionspolitikern und auch bei Genossen. Nun schlägt Gabriel ganz andere Töne an.

„Pegida ist eine rechtspopulistische und in Teilen offen rechtsradikale Empörungsbewegung geworden“, sagt der Vizekanzler jetzt. Die Protagonisten benutzten Kampfbegriffe der NSDAP und stellten die Grundlagen der Demokratie infrage. Pegida sei „zum Reservoir rassistischer Fremdenfeindlichkeit geworden“.

Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat seine Haltung überdacht. Er meint inzwischen, die Pegida-Organisatoren seien „harte Rechtsextremisten“. Noch vor einem Monat klang das anders: In einer Antwort des Innenministeriums auf eine parlamentarische Anfrage hieß es da zurückhaltend, jede Pegida-Veranstaltung müsse anhand des Einzelfalls auf ihren „rechtsextremistischen Gehalt hin bewertet werden“.

Woher kommt der Sinneswandel? Das Innenressort erklärt, die Pegida-Bewegung sei hetzerischer und aggressiver geworden. Ein Beispiel dafür sei der Galgen, der dort zu sehen gewesen sei. Daran: zwei baumelnde Zettel mit einer „Reservierung“ für „Siegmar 'das Pack' Gabriel“ und „Angela 'Mutti' Merkel“. Gabriel selbst sieht außerdem eine Verbindung zwischen Pegida-Parolen und dem Attentat auf die Politikerin Henriette Reker am Wochenende - kurz vor ihrer Wahl zur neuen Kölner Oberbürgermeisterin.

Die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ fingen im vergangenen Herbst klein an mit „Montagsspaziergängen“ in Dresden. Die Bewegung wurde schnell größer. 25 000 Demonstranten waren es zu Hoch-Zeiten. Doch zwischenzeitlich sah es so aus, als würde sich die Sache mit Pegida selbst erledigen. Darauf dürfte auch mancher Politiker gehofft haben. Die Pegida-Führungsriege zerlegte sich, die Demonstrationen wurden immer kleiner. Doch die Flüchtlingskrise bescherte den selbst ernannten Patrioten wieder regen Zulauf. Zum Jahrestag der Pegida-Gründung marschierten am Montagabend etwa 20 000 Anhänger auf.

Der Extremismus-Experte Timo Reinfrank meint, die Wende bei Gabriel und de Maizière komme ein Jahr zu spät. Es sei ein typisches Phänomen, dass so ein Schwenk erst dann stattfinde, wenn sich die Hetze nicht mehr „nur“ gegen Asylbewerber oder andere Ausländer richte - sondern auch gegen Politiker. „Erst da werden manche wach.“ Reinfrank arbeitet für die Amadeu-Antonio-Stiftung, die Initiativen gegen Rechtsextremismus unterstützt, und beobachtet Pegida seit dem Start. „Der Rassismus als Kern war da immer vorhanden“, meint er. Auch die Hetze gegen Flüchtlinge. „Man hätte schon zu Beginn wissen können, dass das brandgefährlich ist.“

Auch Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau meint, Gabriel und de Maizière seien mit ihrer Positionierung spät dran. Dass Pegida gefährlich sei, „das hat sich von Anfang an angedeutet“. Was dort passiere, habe nichts mit der Sorge von Bürgern zu tun. „Das ist Hass, das ist Menschenfeindlichkeit.“ Dazu kämen die vielen Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland, die täglichen rassistischen Pöbeleien und Bedrohungen. „Da ist eine tiefe geistige Verwahrlosung im Gange“, meint die Linke-Politikerin, die sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus engagiert und auch im Bundestags-Untersuchungsausschuss zur rechten Terrorzelle NSU saß.

Pau meint, die Gefahr durch den Rechtsextremismus werde in Deutschland generell vernachlässigt. Nur phasenweise gebe es dafür Aufmerksamkeit - wie nach dem NSU-Schock. Und dann wieder nicht. Dabei seien rechte Einstellungen und vor allem Ressentiments gegen einzelne Gruppen weit verbreitet in der Bevölkerung.

Die Grünen-Politikerin Irene Mihalic klagt, der Verfassungsschutz habe in den vergangenen Jahren „nur einen kleinen Ausschnitt dessen beobachtet, was sich im rechtsextremen Spektrum der Gesellschaft sammelt und bewegt“. Der Inlandsgeheimdienst müsse Pegida endlich systematisch beobachten. Auch Union und SPD hätten rechte Bewegungen viel zu lange falsch eingeschätzt und verharmlost. De Maizière habe bislang einen Zick-Zack-Kurs hingelegt. Und Gabriels Besuch bei der Pegida-Veranstaltung mit vermeintlich „besorgten Bürgern“ zu Jahresbeginn sei ein völlig falsches Signal gewesen.

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