Berlin (dpa/bb) - Nach jahrelangen Beratungen hat die Berliner Regierungskoalition aus SPD, Linke und Grünen einen neuen Gesetzentwurf zur Regelung von Demonstrationen vorgelegt. dpa dokumentiert die wichtigsten Änderungen in den 32 Paragrafen, die am Mittwoch vorgestellt wurden:
VERMUMMUNGSVERBOT: Hier sollen die Bestimmungen nach dem Kompromiss in der Koalition gelockert werden. Das Mitführen von Kleidungsstücken oder Gegenständen zur Vermummung bei Demonstrationen ist demnach künftig nicht mehr strafbar. Die Vermummung selber bleibt allerdings verboten, wenn sie die Strafverfolgung verhindern soll. Allerdings kann die Polizei vor oder während der Demonstration je nach Lage entscheiden, ob sie Vermummungen toleriert oder ein Verbot konkret anordnet und dann auch durchsetzt. Damit soll die Polizei flexibler vorgehen können. Verkleidungen etwa bei bunten Spaß-Demonstrationen fallen nicht unter die Regelung. Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagte, die Polizei erhalte mehr Rechtssicherheit.
VERBOTE: Die Möglichkeiten, volksverhetzende Demonstrationen zu verbieten, sollen mit dem neuen Gesetz erweitert werden. Das soll besonders für Neonazi-Kundgebungen gelten, könnte aber auch für die sogenannte Al-Kuds-Demonstration gegen den Staat Israel zutreffen. Demonstrationen können demnach untersagt werden, wenn der „öffentliche Friede“ gefährdet ist, weil gegen eine nationale, religiöse oder ethnische Gruppe zum Hass aufgestachelt oder sie beschimpft oder verleumdet wird.
Auch Demonstrationen an Orten des Holocaust-Gedenkens und an vier Gedenktagen können verboten werden, wenn sie die Würde der Opfer beeinträchtigen. Dazu gibt es eine Liste von 23 Orten wie dem Mahnmal für die ermordeten Juden und vielen Gedenkstätten. Die vier Gedenktage sind: 27. Januar (Holocaust-Gedenktag), 8. und 9. Mai (Tag der Befreiung), 9. November (Gedenken an die Pogromnacht gegen Juden).
DEESKALATIONSKONZEPT: Die Polizei soll bei konfliktträchtigen Situationen Gewaltbereitschaft und Konfrontationen „zielgruppenorientiert“ verhindern oder abschwächen, um eine Befriedung zu erreichen.
GEGENDEMONSTRATIONEN: Gibt es Demonstrationen und kontroverse Gegendemonstrationen, sollen sie in „Hör- und Sichtweite“ ermöglicht werden. Dabei geht es der rot-rot-grünen Koalition um die Möglichkeit, Protestveranstaltungen gegen rechtsradikale Demonstrationen zu ermöglichen.
ZUGANG und BERICHTERSTATTUNG: Es soll ein Recht auf ungehinderten Zugang zu Demonstrationen geben. Ort, Zeit, Thema und Strecke von Demonstrationen sollen durch die Polizei veröffentlicht werden. Außerdem sei es Aufgabe der Polizei, „die freie Berichterstattung der Medien bei Versammlungen zu gewährleisten“.
VIDEOAUFNAHMEN: Die Polizei darf das Geschehen nur noch offen filmen. Und nur dann, wenn es Anhaltspunkte gibt, dass von Personen eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht,
BERATUNG und BESCHLUSS: Das von der Koalition so genannte „Versammlungsfreiheitsgesetz“ soll das geltende Bundesgesetz aus dem Jahr 1978 ablösen. Das Vorhaben wurde bereits im Koalitionsvertrag vereinbart. Die Koalition will den Gesetzentwurf noch mit Vertretern von Polizei, Justiz und Initiativen beraten. Nach der Sommerpause diskutieren die Abgeordneten in den zuständigen Ausschüssen. Im Herbst soll das Gesetz beschlossen werden und in Kraft treten.
KRITIK: Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) monierte: „Dass Video- und Tonaufnahmen in Zukunft grundsätzlich offen erfolgen müssen, behindert polizeiliche Maßnahmen und wird so nicht funktionieren.“ Klärungsbedarf gebe es auch bei der Ermöglichung des ungehinderten Zugangs zu einer Versammlung und der gewünschten Auflistung der verbotenen Gegenstände zur Vermummung.
Der FDP-Innenpolitiker Marcel Luthe erklärte, Rechtsklarheit werde beseitigt und klare Regelungen würden durch „schwammige, einer willkürlichen Auslegung offene“ Begriffe wie „öffentlicher Friede“ ersetzt.