Demjanjuk-Prozess:"Der einzige Zweck war Ermordung"

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Ein Historiker schildert die Tötungsmaschinerie des KZ Sobibor - Demjanjuks Anwalt sorgt erneut für einen Eklat.

Der Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Kriegsverbrecher John Demjanjuk ist vor dem Landgericht München mit dem Gutachten des historischen Sachverständigen Dieter Pohl fortgesetzt worden.

Soll laut Anklage geholfen haben, Zehntausende Juden zu vergasen: der mutmaßliche Kriegsverbrecher John Demjanjuk vor Gericht (Foto: Foto: dpa)

Der Historiker des Münchner Instituts für Zeitgeschichte äußerte sich insbesondere zum Aufbau des nationalsozialistischen Judenvernichtungssystems in den besetzten Gebieten Osteuropas sowie zur Entstehung der dortigen Vernichtungslager, darunter Sobibór, in dem der 89-jährige Angeklagte als Wachmann tätig gewesen sein soll.

Pohl sagte, seit Mai 1942 seien Juden aus ganz Europa systematisch in Sobibor im heutigen Polen ermordet worden. "Der einzige Zweck war die Ermordung", so der Gutachter. Das Lager sei nur von 25 bis 30 Nazis beaufsichtigt worden, hinzu kamen gut 100 sowjetische Kriegsgefangene, die sogenannten Trawniki, die als Wächter dienten. Demjanjuk soll einer von ihnen gewesen sein.

Bevor es zur Anhörung des Historikers kam, stellte der Verteidiger Demjanjuks, Ulrich Busch, erneut eine Flut von Anträgen. Einer davon lautete: Die Nebenkläger und ihre Verteidiger müssten vom Prozess ausgeschlossen werden, sagte Busch.

Der Vorsitzende Richter Ralph Alt reagierte mit Unverständnis. Die Nebenkläger seien vom Gericht zugelassen worden. "Wie ich jetzt dazu kommen soll, das zu widerrufen, ist mir nicht klar", sagte Alt.

Der Anwalt beantragte außerdem, das Verfahren "für mindestens ein Jahr" auszusetzen, ferner erklärte er, man müsse ihm eine Vielzahl von Akten aus den USA, Israel und Polen, aber auch aus den baltischen Staaten, der Ukraine, Tschechien und Usbekistan beiziehen. Diese brauche er für eine faire Verteidigung, eine Vielzahl von Akten sei ihm von der Staatsanwaltschaft vorenthalten worden.

Die Staatsanwaltschaft reagierte empört auf den Vorwurf Buschs. "Ich möchte den Vorwurf, wir hätten Akten zurückgehalten, mit Entschiedenheit zurückweisen", sagte Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz.

Dem 89-jährigen Demjanjuk wird im vermutlich letzten großen Prozess um Nazi-Verbrechen Beihilfe zum Mord an 27.900 Menschen vorgeworfen. Der gebürtige Ukrainer bestreitet dies. Sein Anwalt bezeichnet ihn selbst als Opfer, weil er als Kriegsgefangener den Nazis habe dienen müssen und umgebracht worden wäre, wenn er deren Befehle nicht ausgeführt hätte. In Sobibor wurden mindestens 250.000 Personen jüdischen Glaubens ermordet.

Demjanjuk schweigt bisher zu den Vorwürfen.

Der Greis verfolgte die Verhandlung erneut im Liegen. Er wurde auf einem Rollbett in den Gerichtssaal gebracht. Seine Schirmmütze zog Demjanjuk, der unter einen gelben Decke lag, tief ins Gesicht. Er wirkte teilnahmslos.

In dem Prozess, der seit seinem Beginn weltweit Aufsehen erregt, sind bis Mai vorerst 35 Verhandlungstage angesetzt. Wegen Demjanjuks angeschlagener Gesundheit darf pro Tag nicht länger als zweimal 90 Minuten verhandelt werden.

Zuletzt hatten zwei Tage vor Weihnachten Holocaust-Überlebende und Angehörige der Opfer, die als Nebenkläger auftreten, als Zeugen ausgesagt. Teils unter Tränen schilderten sie, wie ihre Verwandten nach Osten zu vermeintlichen Arbeitseinsätzen gebracht wurden.

© Reuters/ddp/dpa/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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