Debattenmarathon im Bundestag:Die Koalition führt Selbstgespräche

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Ermüdete Zuhörer bei einer Bundestagsdebatte (Archivbild). (Foto: picture-alliance/ dpa)

Völlig ohne Grund beginnt die große Koalition das Jahr mit mehr als einem Dutzend eher sinnfreien Regierungserklärungen. Wobei: Einen Grund gibt es tatsächlich. Es gibt sonst gerade nichts zu bereden.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Die Stimmung! Toll. Und die Themen! "Tolle Themen", hätten die Minister, sagt die neue erste parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Christine Lambrecht. Und das muss den Leuten eben einmal gesagt werden, wie toll das ist, was die neue Regierung vorhat in den kommenden vier Jahren. Herrlich.

Normalerweise hält dafür am Anfang einer neuen Legislaturperiode die Kanzlerin/der Kanzler eine Regierungserklärung im Parlament. Die dauert eine Stunde, manchmal auch etwas länger. Der Text der Regierungserklärung ist mit allen Ministern abgestimmt. Jedes Ressort wird also zumindest einmal erwähnt. Danach folgen zweieinhalb bis drei Stunden Aussprache. Und gut ist. Mehr Erklärung brauchte bisher kein Mensch. Bis zu dieser Woche.

Die große Koalition will den großen, den ganz großen Auftritt. Drei Tage Debatte, zusammen etwas mehr als 20 Stunden sind von diesem Mittwoch bis Freitag angesetzt, damit CDU, CSU und SPD sich selbst feiern können. Alle Bundesminister und die Kanzlerin bekommen jeweils eine eigene mindestens einstündige Debatte zugebilligt.

Die große Koalition diskutiert mit sich selbst

Das ist wie in einer klassischen Haushaltswoche. Wenn der Bundeshaushalt debattiert wird, muss jeder Minister seinen Etat vor dem Parlament rechtfertigen. Und am Ende wird eben der Haushalt verabschiedet. Da geht es um was.

Jetzt geht es um nichts. Na ja, um Regierungs-PR vielleicht.

Weil die Mehrheitsverhältnisse sind wie sie sind, werden sich die Großkoalitionäre vor allem gegenseitig in den Himmel loben können. In den 20 Stunden Redezeit erhalten die beiden Oppositionsparteien jeweils acht Minuten pro Stunde. In der Regel werden sich die Koalitionäre nach einer halbstündigen Debatte die restliche Zeit gepflegt mit sich selbst unterhalten. Das sei "das Ätzende an diesen Debatten", sagt Britta Haßelmann, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen. "Diese Woche wird zeigen, in welcher Weise die Regierung Selbstbeschäftigung betreibt." Gemeinsam mit der Linken verhandelt sie gerade mit den Koalitionsfraktionen über ein neues Redezeitenmodell.

Die Koalition spricht von Transparenz

Die Koalitionäre verteidigen das Format mit angeblicher Transparenz: Es sei doch nichts dagegen einzuwenden, dass jeder Minister Gelegenheit bekomme, den Bürgern en Detail zu erklären, was er so alles vorhat. Oder?

Das Problem ist allerdings: Die wenigsten Bürger werden sich jetzt drei Tage freinehmen, um großkoalitionären Selbstgesprächen zu lauschen.

Der eigentliche Grund für die Mammut-Debatte dürfte sein, dass es nichts zu debattieren gibt. Ein paar Personalentscheidungen werden in dieser Woche getroffen, zwei unstrittige Auslandseinsätze der Bundeswehr verlängert, das war es. Ein halber Tag hätte gereicht. Die Sitzungswoche einfach mal ausfallen lassen, das wäre zwar vernünftiger gewesen, aber wohl aus Prinzip nicht möglich.

Lieber den Koalitionsvertrag lesen

Wenn aber schon geredet wird, dann will auch niemand schlecht wegkommen. Als besonders wichtig gilt die sogenannte Kernzeit-Debatte, also die erste Debatte an einem Sitzungstag. CDU, SPD und CSU dürfen jeweils einmal den Debattentag eröffnen: Merkel startet am Mittwoch mit ihrer Regierungserklärung. Donnerstag eröffnet SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel als Wirtschafts- und Energieminister den Debattenreigen. Und Freitag darf sich dann CSU-Mann und Verkehrsminister Alexander Dobrindt als zweiter Neben-, Unter- oder Was-auch-immer-Vizekanzler fühlen, wenn er die Kernzeit bestreitet.

Wer sich die Dauerbeschallung via TV sparen möchte, der liest vielleicht einfach den Koalitionsvertrag. Da steht auch alles drin. Andere werden gezwungen sein, im Bundestag auszuharren. So wie schon von Amts wegen Petra Sitte, parlamentarische Geschäftsführerin der Linken: "Ich hoffe, dass der Bundestag eine frische Parlaments- und keine selbsterklärende Ministerdebatte führt, bei der Zuhörende im Wachkoma landen", sagte sie.

Damit hat Sitte alle Hoffnungen und Gefahren für die kommenden drei Tage sachgerecht beschrieben.

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