Es wird einsam um Barack Obama. Noch immer funktioniert die Website "healthcare.gov" nicht richtig, auf der sich die Amerikaner für die neue Krankenversicherung "Obamacare" anmelden sollen. Alle sind sauer auf den Präsidenten: Die Bürger fühlen sich belogen, die Demokraten sorgen sich um ihre Wiederwahl und die Republikaner gerieren sich als Besserwisser. Wer im Ringen um das neue Gesundheitssystem profitiert - und wer verliert. Ein Überblick.
Präsident Barack Obama
Am 1. Oktober sollte es endlich losgehen mit dem Prestigeprojekt des Präsidenten: Millionen Amerikaner, die bislang keine Krankenversicherung hatten, sollten online Anträge für Obamacare stellen. Doch von Beginn an war die Website entweder nicht aufrufbar, brach während des Ausfüllens des Formulars zusammen oder erstellte Anträge voller Fehler.
Zunächst wurde das Desaster durch den drohenden Staatsbankrott der USA überschattet, doch nun gibt es keine Ablenkung mehr. Obamas Ruf ist angekratzt und er musste sich für die Computerprobleme entschuldigen. Nun blickt das Weiße Haus bange auf den Kalender, denn der Präsident hat versprochen, dass "healthcare.gov" am 30. November funktioniert. Die Washington Post meldete jüngst, dass der Termin nicht einzuhalten sei - was von offizieller Seite nur halbherzig dementiert wurde.
Für Obama häufen sich die schlechten Nachrichten: Obamacare ist sein wichtigstes Projekt, um die US-Gesellschaft gerechter zu machen. Die Computerpannen könnten nun dazu führen, dass nur wenige junge Amerikaner Verträge abschließen - diese gesunden Neuversicherten sind aber nötig, damit die Beiträge für neue Policen nicht zu sehr in die Höhe schießen und das Projekt ein Erfolg werden kann.
Noch schlimmer für Obama ist jedoch, dass er ein wichtiges Wahlversprechen gebrochen hat. 2012 hatte er stets versichert, dass jeder seinen alten Krankenversicherungsvertrag behalten dürfe, wenn ihm dieser gefalle. Nun stellt sich heraus, dass viele Versicherungen die alten Policen doch gekündigt haben. Hektisch bemüht sich das Weiße Haus um Schadensbegrenzung und gestattet eine Verlängerung der Altverträge. Allerdings war die persönliche Integrität des Präsidenten, die stets sein großes Plus war, schon beschädigt: Erstmals beurteilt nun mit 52 Prozent der Amerikaner eine Mehrheit Obama als "unehrlich" und "nicht vertrauenswürdig".
Das handwerkliche Debakel rund um Obamacare führt nicht nur dazu, dass der US-Präsident in seiner zweiten Amtszeit andere wichtige Projekte wie die Reform des Einwanderungsrechts nicht vorantreiben kann. Zudem droht Obama noch früher als sonst zu einer lame duck zu werden. Nach den Kongresswahlen im November 2014 wird der Präsident kaum mehr Einfluss haben.
Demokraten im US-Kongress
Die Parteifreunde Obamas in Senat und Repräsentantenhaus befinden sich in einer misslichen Lage. Sie müssen sich darauf verlassen, dass die Regierung die Website schnell repariert - und es gibt genug Gründe, um hier skeptisch zu sein. Also geht es für demokratische Senatoren und Abgeordnete darum, den Wählern zu beweisen, dass sie aktiv sind und nicht Däumchen drehen. Dies gilt besonders für red state Democrats - so nennt man demokratische Politiker, deren Heimatstaat sonst mehrheitlich für die Republikaner stimmt.
So haben 39 Demokraten - darunter viele aus besonders umkämpften Stimmbezirken - in der vergangenen Woche im Repräsentantenhaus für ein Gesetz gestimmt, das Teile von Obamacare aushebeln würde. Da diese Initiative im Senat blockiert wird, ist die Aktion rein symbolisch - aber sie zeigt, wie wenig Loyalität viele Demokraten mittlerweile für "ihren" Präsidenten empfinden.
Dies liegt auch daran, dass sich der politische Gegner bereits rüstet: Einem Bericht des Insider-Portals Politico zufolge durchforsten PR-Berater der Republikaner bereits alte Videoaufzeichnungen von Abgeordneten und suchen nach lobenden Aussagen über Obamacare und Vorhersagen über die fehlerfreie Umsetzung. Eines steht fest: Auch im Wahlkampf 2014 wird sich wieder viel um die Gesundheitsreform drehen.
Für Amerikas Konservative müssen die Technikpannen rund um die verhasste Obamacare-Reform wie ein Geschenk des Himmels erscheinen. Seit die gesetzliche Krankenversicherung 2010 eingeführt wurde, fordern die Republikaner deren sofortige Abschaffung - und mussten 2012 frustriert hinnehmen, dass die Mehrheit für Obama und damit für dessen Kernprojekt stimmte. Dennoch nutzen gerade Tea-Party-Lieblinge wie Ted Cruz das Thema zur Inszenierung - etwa mit einer 20-stündigen Dauerrede.
" Dank der Fehler der Obama-Regierung sind wir nun in einer besseren Position als vorher", sagt der konservative Berater Terry Nelson zufrieden der Washington Post. Allerdings machen ein paar gute Wochen nicht das Grundproblem aus Sicht der Grand Old Party ungeschehen: Sie werden von wichtigen gesellschaftlichen Gruppen wie Latinos, Frauen, Homosexuellen und jungen Wählern als "dumme Partei" und nicht als Alternative wahrgenommen. Die Chancen der Republikaner, 2016 einen der Ihren ins Weiße Haus zu schicken, haben sich bislang nicht erhöht.
Amerikas Bürger
Für viele Menschen bedeutet die jetzige Situation vor allem eins: Unsicherheit. Sie wissen nicht, ob ihr alter Versicherungsvertrag vom 1. Januar 2014 an noch gültig sein wird oder ob die Website healthcare.gov rechtzeitig genug funktionieren wird, um einen neuen Vertrag abzuschließen. Gleiches gilt für etwa 30 Millionen Amerikaner, die bislang keinerlei Versicherungsschutz haben und viele Hoffnungen in Obamacare setzen.
Allerdings, so betonen es die Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums, müssten die Menschen gar nicht darauf warten, bis das Online-Portal richtig funktioniere: Jeder könne seinen Antrag auch per Telefon oder Brief stellen oder sich in einem lokalen Büro Informationen holen. Doch mit diesen altmodischen Wegen wird die Zahl von sieben Millionen Neuverträgen, auf welche die Regierung bis März 2014 hoffte, nicht erreicht werden.
Egal, ob die Pannen pünktlich bis zum 30. November behoben werden oder es doch noch länger dauert: Der Erfolg von Obamacare hängt stark von der Stabilität von healthcare.gov ab.
Linktipp: Für den Wonkblog der Washington Post vergleichen Ezra Klein und Evan Soltas in einem langen Artikel mit vielen Grafiken das US-Gesundheitssystem mit den Zuständen in anderen Industrieländern. So viel vorweg: Amerika schneidet nicht gut ab.