Es gibt heute einige solcher Sozialunternehmer, und sie beschäftigen Menschen, die in der Gesellschaft am Rande stehen, geben ihnen Arbeit, rücken sie in die Mitte. Durch die Corona-Krise sind nun all diese Projekte in ihrer Existenz bedroht. Allein im Dialoghaus in Hamburg, in einer gemeinnützigen GmbH, sind das 132 Leute. Zusätzlich zur Ausstellung gibt es Seminare und Workshops, in denen Führungskräfte aus der Wirtschaft mit der absoluten Dunkelheit konfrontiert werden; sie können auch ein "Dinner in the Dark" buchen. Für manch einen wird das zu einer Lehrstunde in Demut.
Heineckes Idee hat sich mittlerweile weltweit verbreitet, zehn Millionen Menschen in 50 Staaten und bald 200 Städten haben sie erlebt und dabei eine wichtige Selbsterfahrung gemacht. Heinecke hat seine Idee nicht nur räumlich, sondern auch inhaltlich ausgeweitet: auf die Erfahrung mit Gehörlosigkeit, mit Gebrechlichkeit und Alter. "Dialog im Stillen" heißt das dann, "Dialog mit der Zeit" oder "Dialog mit dem Ende". Immer geht es um den Umgang mit dem Anders-Sein, um transformative Erfahrungen. Niemand verlässt die Ausstellung so, wie er hineingegangen ist.
Heinecke liefert das Konzept und die Beratung, vor Ort werden die Ausstellungen dann auf der Grundlage einer Franchising-Vereinbarung betrieben. Die Referenz-Ausstellung ist immer die in der Hamburger Speicherstadt. Über 12 000 behinderte und ältere Menschen haben Gehalt und Anerkennung bezogen. Heinecke hat bewiesen, dass man einen sozialen Zweck mit unternehmerischen Mitteln verfolgen kann - bis Corona kam. Ausgerechnet.
Ein Sozialunternehmen vor dem Aus
Jetzt bricht das soziale Unternehmen, das Solidarität gelehrt hat, zusammen. Fünf Millionen Euro braucht Heinecke jedes Jahr, um alle und Alles zu bezahlen. 230 000 Euro Fixkosten monatlich in Hamburg hat er zu stemmen, davon 180 000 für das Personal, also für die behinderten Menschen. Die Bildungs- und Beschäftigungsprogramme des Sozialunternehmens hängen nur zu einem kleinen Bruchteil an Spenden oder staatlichen Zuwendungen (nämlich den Regelleistungen, die jeder bekommt, der behinderte Menschen beschäftigt). "Dialogue Social Enterprise" wird hauptsächlich aus Eintrittsgeldern und Franchisegebühren finanziert und aus den Honoraren, die Firmenworkshops erbringen. Der monetäre Gewinn ist in einem Social Business wie dem von Heinecke ein Mittel zum Zweck. Das heißt: Anders als in einem klassischen Konzern geht es nicht um Gewinnmaximierung, sondern um die Maximierung der sozialen Wirkung. Idealerweise macht ein Sozialunternehmen genug Gewinn, um Rücklagen zu bilden und in das Unternehmen zu reinvestieren, um es noch wirkungsvoller zu machen. So war das beim "Dialog im Dunkeln". Bisher.
Das ist vorbei, das Unternehmen steht vor dem Aus; es kann nicht mehr finanziert werden, weil die Ausstellungen geschlossen sind. Konkurs droht. Der Sozialunternehmer Heinecke haftet auch mit seinem Privatvermögen. Wäre nun der "Dialog im Dunkeln" ein normales, also ein staatliches Museum oder eine sonstige Bildungsstätte, bliebe der Laden zwar jetzt auch geschlossen, aber die Kosten für Personal und Miete würden bezahlt. Die Ausstellung wäre eine Kostenstelle in einem öffentlichen Etat und sobald Corona vorbei ist, würde sie die Tür wieder aufsperren. Wäre der "Dialog im Dunkeln" ein klassisches Unternehmen - dann könnte sich der Unternehmer als Mittelständler unter den rettenden KfW-Schirm flüchten; die Verdienstausfälle könnten partiell kompensiert werden. Ein Sozialunternehmen ist aber kein klassisches Unternehmen. Die KfW schließt bei ihren Überlegungen gemeinnützige Unternehmen aus. Und auf dem Radar von Stiftungen und Wohlfahrtsorganisationen ist so ein selbständiges Sozialunternehmen auch nicht. Es gibt keine Stiftung in Deutschland, die einen Nothilfe-Fonds für soziale Unternehmen hat.
Wie Meerschweinchen - nicht Meer, nicht Schwein
Bei Marktverwerfungen fallen Sozialunternehmen durch die Raster. Sie sind nicht mehr sozial, weil sie Mitarbeiter entlassen müssen; das Kurzarbeitergeld rettet da nichts. Sie sind keine Unternehmer mehr, das sie kaum Möglichkeiten haben, die Geschäfte wiederaufzunehmen. Da hilft auch der Galgenhumor nicht mehr weiter: "Wir sind wie Meerschweinchen", sagt Andreas Heinecke, "nicht Meer und nicht Schwein".
Es wird viele erschreckende wirtschaftliche Folgen der Corona-Krise geben. Der Fall "Dialog im Dunkeln" zeigt exemplarisch, wie es akut, ausgerechnet, Projekte trifft, die Solidarität organisiert haben. Beim "Dialog im Dunkeln" gehen bald die Lichter an. Das ist bitter, das ist tragisch. Ich wünsche uns, dass die Solidarität in der großen Krise erhalten bleibt - und dass der Dialog im Dunkeln wieder aus dem Dunkel herausführt. In der Ausstellung sieht man am Ende einen Spalt Licht und geht erleichtert auf diesen Spalt zu. Das wünsche ich uns auch in der Corona-Wirklichkeit: das Licht der Zuversicht.