Flüchtlinge und Corona:"Wir dürfen nicht eine Not gegen die andere ausspielen"

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Bayerns ehemaliger Kultusminister Hans Maier hat eine Hilfsinitiative für das griechische Flüchtlingslager Moria ins Leben gerufen. Ein Gespräch über Ostern in Zeiten von Corona - und die drohende humanitäre Katastrophe auf Lesbos.

Interview von Annette Zoch

Hans Maier, 88, hat als Schirmherr eine Hilfsinitiative für das griechische Flüchtlingslager Moria ins Leben gerufen. Mit der Aktion will der frühere CSU-Politiker, der bayerischer Kultusminister war und Präsident des Zentralkomitees deutscher Katholiken, die Stiftung Pro Asyl unterstützen. Ein Gespräch über Ostern in Zeiten von Corona und warum man über die eine Not die andere nicht vergessen darf.

SZ: Herr Maier, wie ist denn Ihrer Kenntnis nach gerade die Lage in Moria?

Hans Maier: Ursprünglich war dieses Flüchtlingslager ja für 3000 Menschen ausgelegt, inzwischen leben dort aber mehr als 20 000 Geflüchtete. Es gibt nur ein einziges, jetzt schon völlig überlastetes Krankenhaus und es ist sehr schwierig, Quarantänemaßnahmen zu ermöglichen. Vor kurzem haben sich Deutschland und auch einige andere EU-Staaten, darunter Frankreich und Luxemburg, bereit erklärt, 1600 besonders gefährdete Kinder und unbegleitete Minderjährige rauszuholen. Aber das ist durch die Corona-Krise zunächst aufgeschoben worden. Nun sollen immerhin 50 Kinder nach Deutschland kommen, aber die Mehrzahl der Flüchtlinge wird erstmal auf Lesbos bleiben.

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Sind denn schon Covid-Infektionen aufgetreten?

Ja, die ersten Fälle sind auf Lesbos registriert worden. Man hat Griechenland völlig sich selber überlassen. Das ist nicht nur ein Armutszeugnis für Deutschland, sondern auch für die ganze EU. Sollte sich das Coronavirus dort weiterverbreiten, droht eine humanitäre Katastrophe. Wir bemühen uns im Augenblick alle darum, die Verbreitung des Virus überall einzudämmen. Das ist wichtig und lebensnotwendig, aber es besteht in der aktuellen Krise auch die Gefahr, dass wir die andere Not aus dem Blick verlieren - die Not der Verfolgten und der Flüchtlinge. Deshalb ist meine Familie, sind meine Frau und unsere sechs Töchter und Enkelkinder auf die Idee gekommen, ein Zeichen zu setzen. Mit "Osterlicht Moria" sammeln wir Spenden für die Flüchtlingsarbeit von Efi Latsoudi, die sich seit Jahren um die Flüchtlinge im Camp Moria kümmert.

Was antworten Sie Menschen, die sagen, zuerst müsse man sich um die Eindämmung des Virus hier bei uns kümmern?

Das Coronavirus betrifft die ganze Welt - aber auch die Lage der Flüchtlinge. Es hat noch nie so viele Flüchtlinge gegeben seit dem Zweiten Weltkrieg wie in den letzten Jahren. Wir müssen die Not gemeinsam bekämpfen und besiegen. Wir dürfen nicht eine Not gegen die andere ausspielen.

Sorgen Sie sich darum, welche Auswirkungen das Coronavirus auf Europa haben wird?

Zunächst einmal erlebe ich, wie die Grenzen wiederkommen, die Kontrollen und Zollstationen. Das ist ein beängstigender Rückfall nach den hoffnungsvollen Aufbrüchen der 50er Jahre: Ich habe Robert Schumann noch erlebt in Freiburg und ich habe die einzelnen Stationen der europäischen Integration alle noch im Gedächtnis. Unsere Generation ist aufgewachsen im Blick auf Europa. Europa war für uns das Licht am Ende des langen Tunnels nach dem Dritten Reich und dem Krieg. Und jetzt erleben wir, wie Europa - ich hoffe nur vorübergehend - wieder zurückfällt in die alte nationalstaatliche Existenz. Gleiches gilt auch für die Bundesrepublik: Jedes Land versucht, einen eigenen Weg zur Eindämmung des Virus zu finden. Wir brauchen dringend wieder, wenn das Ärgste überwunden ist, die Rückkehr zur Gemeinsamkeit und zur gemeinsamen Lösung der Probleme.

Sie waren lange Vorsitzender des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, sind gläubiger Christ, wirken bis heute als Organist in ihrer Münchner Gemeinde. Was bedeutet Ihnen Ostern dieser Tage?

Ich erinnere mich, dass sogar am Ende des Krieges - kurz vor der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 - Ostern gefeiert wurde in meiner Heimatstadt Freiburg, in den wenigen noch existierenden Kirchen. Ich war damals 13 Jahre alt. Dieses Ostern ist wirklich das erste, das ich ohne die Karliturgie erlebe, ohne das "Lumen Christi", ohne die Feier in der Osternacht. Das wird sehr ungewöhnlich für mich. Auch unsere Familie trifft sich nicht wie sonst, sondern wir stehen telefonisch oder über Internet in Verbindung. Deswegen wollten wir eine Gemeinsamkeit anderer Art entwickeln, und darin gründet auch der Vorschlag für "Osterlicht Moria".

Wie werden Sie Ostern feiern?

Wir werden uns sicher einen Fernsehgottesdienst anschauen. Es ist auf der einen Seite sehr schön, dass die Liturgie dadurch nicht völlig ausfällt. Auf der anderen Seite ist es doch bedrückend, wenn man Bischöfe und den Papst in leeren Kirchen sieht. Man muss das jedenfalls ergänzen und kompensieren durch intensives gemeinsames Gebet. Meine Frau und ich, wir entdecken gerade alte Gebete wieder und versuchen daheim, so etwas wie eine geistliche Atmosphäre aufzubauen. Und was für uns besonders schön ist, Ende April erwarten wir unser zehntes Enkelkind.

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