Coronavirus-Behandlung:Wie ernst ist die Lage?

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Auf der Covid-Station, einem Bereich der Operativen Intensivstation vom Universitätsklinikum Leipzig, versorgt ein Intensivpfleger einen Patienten, der an ein Beatmungsgerät angeschlossen ist. (Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa)

Die Zahl der Corona-Toten steigt stark, und ein Arzt in Sachsen berichtet von Triage: Experten warnen immer lauter vor der Überlastung des deutschen Gesundheitssystems.

Von Cornelius Pollmer, Leipzig, und Rainer Stadler, Leipzig/München

Äußerungen eines sächsischen Mediziners über eine mögliche Triage bei Corona-Patienten haben eine Diskussion über die Behandlungskapazitäten in deutschen Krankenhäusern ausgelöst. Am Dienstagabend hatte der Ärztliche Direktor des Klinikums Oberlausitzer Bergland (KOB), Mathias Mengel, in einem Bürgerforum geäußert, seine Klinik habe in den vergangenen Tagen wiederholt entscheiden müssen, welche Patienten mit Sauerstoff versorgt werden könnten und welche nicht. Im Grundsatz bestätigte Mengel einen Bericht über diese Veranstaltung am Mittwoch der Süddeutschen Zeitung. Eine Sprecherin des Klinikbetreibers wiederum dementierte am Mittwochabend gegenüber Bild und sagte, es handele sich um "ein Missverständnis". Auch die Krankenhausleitstelle Ostsachsen teilte mit, es habe in Sachsen bislang in keinem Krankenhaus triagiert werden müssen, auch nicht in Zittau.

Der Krankenhausträger des KOB kündigte zudem an, den Sachverhalt zu prüfen. Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) bezeichnete die Äußerungen des Zittauer Arztes als Weckruf. "Wir wissen bald nicht mehr, wie wir die Patienten versorgen sollen", sagte sie. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer bezeichnete den Arbeitsalltag in deutschen Krankenhäusern als "extrem angespannt".

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Nirgendwo in Deutschland wütet das Virus zurzeit so wie in Sachsen. Der Direktor eines Klinikums in Zittau spricht am Dienstag von Triage. Bestandsaufnahme in einer Stadt, in der das Gesundheitssystem jetzt an seine Grenzen stößt.

Von Cornelius Pollmer

Bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags am Mittwoch warnten mehrere Experten vor einer Überlastung des Gesundheitssystems. Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Alena Buyx, sagte, eine Zuspitzung der Lage könne zu problematischen Triage-Entscheidungen führen. Am Morgen hatte das Robert-Koch-Institut (RKI) einen neuen Höchstwert bei den Corona-Toten gemeldet: Binnen 24 Stunden seien in Deutschland 952 Menschen an oder mit dem Coronavirus gestorben. Die Zahl der Neuinfektionen stieg vor Inkrafttreten des bundesweiten Lockdowns um 27 728.

Vor allem in Hotspots ist die Lage angespannt

Laut dem Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) werden derzeit bundesweit 4735 Patientinnen und Patienten wegen einer Covid-19-Erkrankung in Kliniken behandelt, 2679 davon künstlich beatmet. Allein Sachsen verzeichnete am Mittwoch 3238 Fälle in stationärer Behandlung, 610 dieser Patienten mussten intensivmedizinisch behandelt werden.

Die Situation ist nicht überall so angespannt. In Nordrhein-Westfalen hatte Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am Dienstag im Landtag mitgeteilt, die Lage im bevölkerungsreichsten Bundesland sei ernst, "aber von einer Triage sind wir noch sehr, sehr weit entfernt". Die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) sagte, die Kapazitäten der Kliniken reichten aus, um die Covid-19-Patienten in der Hauptstadt zu behandeln. Sie wies allerdings auf den Personalmangel hin: Auch Klinikmitarbeiter steckten sich mit dem Virus an oder müssten als Kontaktpersonen von Infizierten in Quarantäne. Der Kölner Intensivmediziner und DIVI-Präsident Uwe Janssens sagte, wenn sich die Infektionszahlen weiter so entwickelten wie zuletzt, könnten die Intensivstationen in wenigen Wochen überlastet sein.

Gegenüber der Süddeutschen Zeitung kritisierte Janssens, dass die meisten Bundesländer die Krankenhäuser nicht aufgefordert hätten, aus dem Regelbetrieb auszusteigen, wie das in Berlin der Fall sei. Dort hatte Gesundheitssenatorin Kalayci die 38 Notfallkrankenhäuser der Stadt Anfang November angewiesen, planbare Eingriffe zu verschieben. Janssens sagte, es gebe zwar bundesweit noch freie Intensivbetten, Patienten aus stark betroffenen Regionen könnten in andere Kliniken verlegt werden. Allerdings müssten Kranke dafür über weite Strecken transportiert werden, was ihre Heilungschancen verschlechtere.

Janssens appellierte an die Bundesländer, Notfallpläne aufzustellen, um Kliniken in stark betroffenen Regionen wie Sachsen eine Orientierung zu geben, in welche Krankenhäuser sie Patienten verlegen könnten. Eine Expertengruppe habe zusammen mit Politikern aus Bund und Ländern ein Konzept erarbeitet, das skizziert, wie die Verteilung dieser Patienten organisiert werden könnte. Dieses Konzept, forderte Janssens, "muss nun endlich von den Ländern umgesetzt werden".

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