Corona-Hilfspaket der EU:Handlungsfähig und solidarisch inmitten der schlimmsten Krise

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Nach "langen, langen Diskussionen" sei es den EU-Finanzministern gelungen, einen Konsens zu formulieren, sagt Olaf Scholz. (Foto: Arne Immanuel Bänsch/dpa)
  • Insgesamt etwa 500 Milliarden Euro wollen die EU-Länder bereitstellen, um die Auswirkungen der Pandemie abzufedern.
  • Die Europäische Investitionsbank wird durch Bürgschaften bis zu 200 Milliarden Euro an zusätzlichen Krediten für Mittelständler ermöglichen.
  • Die EU-Kommission will zudem die Kurzarbeitergeld-Systeme der Staaten mit bis zu 100 Milliarden Euro unterstützen.
  • Der Euro-Rettungsschirm ESM soll Staaten mit der Gemeinschaftswährung vorsorgliche Kreditlinien zur Verfügung stellen.

Von Björn Finke, Brüssel

Eine halbe Billion Euro Finanzhilfen für klamme Mitgliedstaaten in der Corona-Krise: Darauf einigten sich die EU-Finanzminister am Donnerstagabend in einer Videoschalte. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sprach hinterher von einem "großen Tag europäischer Solidarität und Stärke". Nach "langen, langen Diskussionen" sei es gelungen, einen Konsens zu formulieren. Die Minister hatten bereits von Dienstagabend bis Mittwochmorgen 16 Stunden lang debattiert, ohne einen Kompromiss zu finden. Zwischen den beiden Videokonferenzen gab es viele Telefonate der Staats- und Regierungschefs, auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), um zu versuchten, den Streit zu lösen. Die Schalte der Minister am Donnerstag startete mit viereinhalb Stunden Verspätung, dauerte aber dafür nur eine gute halbe Stunde.

Mit der Einigung beweisen die Minister Handlungsfähigkeit und Solidarität inmitten der schlimmen Krise: Das ist wichtig, denn in den vergangenen Wochen hat die bittere Auseinandersetzung um sogenannte Corona-Anleihen - gemeinschaftliche europäische Schulden - tiefe Gräben zwischen Nord und Süd, zwischen wohlhabenden und hoch verschuldeten Staaten, wieder aufgerissen: Gräben, die bereits die Bewältigung der Staatsschuldenkrise erschwert hatten.

Die etwa eine halbe Billion Euro - das sind 500 000 Millionen Euro - setzen sich aus drei Teilen zusammen: Erstens soll die Europäische Investitionsbank EIB, das Förderinstitut der EU, durch Bürgschaften bis zu 200 Milliarden Euro an zusätzlichen Krediten für Mittelständler ermöglichen. Dafür müssen die Mitgliedstaaten 25 Milliarden Euro an Garantien zur Verfügung stellen. Zweitens will die EU-Kommission die Kurzarbeitergeld-Systeme der Staaten mit bis zu 100 Milliarden Euro unterstützen. Steigen in einem Land die Ausgaben für solche Programme rasant an, kann die Regierung die Brüsseler Behörde um ein günstiges Darlehen bitten. Auch hierfür sind zunächst 25 Milliarden Euro an Garantien von Seiten der Mitgliedstaaten nötig.

Bis zuletzt umstritten zwischen den Ministern war der dritte Teil: Der Euro-Rettungsschirm ESM soll Staaten mit der Gemeinschaftswährung vorsorgliche Kreditlinien zur Verfügung stellen. Länder können Darlehen im Wert von bis zu zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung reservieren, was insgesamt maximal 240 Milliarden Euro ergeben würde. Der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM wurde während der Staatsschuldenkrise gegründet, um Ländern wie Griechenland Not-Kredite zur Verfügung zu stellen. Die Darlehen des Luxemburger Fonds sind immer an Auflagen geknüpft, etwa wirtschaftsfreundliche Reformen.

Regierungen von Ländern wie Italien und Spanien, die hoch verschuldet und von der Pandemie besonders betroffen sind, forderten allerdings, dass ESM-Kredite in der Corona-Krise keinen Bedingungen unterliegen sollten. Ein Kompromiss sah als einzig relevante Auflage vor, dass das Geld tatsächlich für den Kampf gegen die Pandemie und den Abschwung eingesetzt wird. Dies wiederum war dem niederländischen Finanzminister Wopke Hoekstra zu lasch. Wegen dieses Streits zwischen den Niederlanden und Italien wurde die erste Videoschalte am Mittwochmorgen abgebrochen. Nun konnte der Disput beigelegt werden: Die Darlehen sollen nur für "direkte und indirekte" Kosten der Pandemie im Gesundheitswesen ausgegeben werden, nicht für Konjunkturpakete. Dafür gibt es keine darüber hinaus reichenden Auflagen. ESM-Chef Klaus Regling sagte, das Programm könnte in zwei Wochen einsatzbereit sein.

Außerdem versprachen die Minister den Aufbau eines zeitlich befristeten Wiederaufbau-Fonds, der nach der Pandemie Regierungen helfen soll, Konjunkturspritzen zu finanzieren. Länder wie Frankreich, Italien und Spanien forderten, dass dieser EU-Topf mit Corona-Bonds - gemeinsam ausgegebenen Anleihen - gefüllt wird. Dann würden alle Staaten gesamtschuldnerisch für die Anleihen haften. Weil auch finanzstarke Länder wie Deutschland hinter diesen Corona-Bonds stünden, wäre die Risikoprämie, also der Zins, niedrig.

Doch Regierungen wie die deutsche und niederländische lehnen es seit jeher ab, Schulden in Europa zu vergemeinschaften. Sie wollen nicht für Verbindlichkeiten anderer Länder mithaften, auf deren Haushaltspolitik sie keinen Einfluss haben. Die Finanzminister einigten sich darauf, den Streit zu vertagen und ihren Vorgesetzten auf den Tisch zu legen. Der portugiesische Finanzminister Mário Centeno, der die Treffen seiner Amtskollegen leitet, sagte nach der Konferenz, die Staats- und Regierungschefs müssten entscheiden, wie dieser Hilfstopf gefüllt werden soll. Die Spitzenpolitiker müssen die Ergebnisse ihrer Finanzminister ohnehin noch in einem Videogipfel billigen.

Der Streit um die gemeinsamen Anleihen treibt auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen um. Sie fürchtet, dass die Debatte um die Schulden-Vergemeinschaftung ergebnislos verläuft und nur die Stimmung vergiftet. Als Alternative schlägt die Deutsche vor, den neuen siebenjährigen Finanzrahmen der EU für Konjunkturprogramme zu nutzen. Bislang haben sich die Regierungen noch nicht auf einen EU-Etat für 2021 bis 2027 geeinigt. Von der Leyen lässt den Kommissionsentwurf nun überarbeiten; der neue Vorschlag wird am 29. April präsentiert. Ihr Haushaltskommissar Johannes Hahn erläuterte in der "Financial Times", wie dieser aussehen könnte. Dem Österreicher schwebt vor, dass die Mitgliedstaaten der Kommission die Aufnahme von Hunderten Milliarden Euro an Darlehen erlauben.

Dieses Geld könnte die Brüsseler Behörde dann zum Beispiel als Bürgschaften verwenden, damit Staaten zu günstigen Zinsen Kredite erhalten. Das wäre vor allem wichtig für hoch verschuldete Länder wie Italien und Spanien, die ansonsten saftige Zinsen zahlen müssten, wenn sie sich für Konjunkturspritzen Darlehen besorgen. Die Mitgliedstaaten legen fest, wie viel die Kommission ausgeben und wie sehr sie sich verschulden darf. Hahn schlägt vor, wegen der Corona-Krise die Verschuldungsgrenze für einen befristeten Zeitraum deutlich zu erhöhen. Für diese Schulden haftet die Behörde mit ihrem Haushalt, also letztlich den Beitragszahlungen der Mitgliedstaaten. Das Kalkül von Hahn und von der Leyen ist, dass es für Staaten wie Deutschland und die Niederlande einfacher wäre, solchen europäischen Schulden zuzustimmen als den umstrittenen Corona-Bonds.

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