Coronakrise:Massentests in Göttinger Hochhaus

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Ansteckung beim Zuckerfest: Nach 120 Corona-Infektionen in einem Hochhaus ist die Stimmung gereizt - nicht nur unter den Bewohnern.

Von Christoph Koopmann, München

Zwei Brücken gab es einst an dem grau-weißen Hochhaus in Göttingen. Eine verband das Iduna-Zentrum mit der Universität nebenan, die andere mit der Innenstadt. Schon vor Jahren wurden die Brücken weggerissen, jetzt steht das Iduna-Zentrum ganz allein da. Als der Komplex in den Siebzigerjahren gebaut wurde, da galt er als vorbildliches Projekt, es sollte Wohnen, Einkaufen und Arbeiten verbinden.

Doch mit der Zeit ist daraus geworden, was man hierzulande gern einen "sozialen Brennpunkt" nennt. Die örtliche Staatsanwaltschaft nennt den Komplex einen Schwerpunkt in ihrer Arbeit. Dass dort viele Familien mit Migrationshintergrund auf wenig Platz leben, reicht überdies für einen schlechten Ruf.

Und der wird gerade nicht besser. Seit am 23. Mai nach Angaben der Stadt mehrere Familien dort das muslimische Zuckerfest gefeiert haben, wurden bis Donnerstagabend 120 Menschen positiv auf eine Infektion mit Sars-CoV-2 getestet. Am Freitag begann man mit dreitägigen Massentests aller 600 gemeldeten Bewohner des Hauses.

Schulen wieder geschlossen

Göttingen schloss wegen des Ausbruchs vorläufig wieder die Schulen, und auch deshalb wäre die Stimmung mit "gereizt" nur unzureichend beschrieben: In sozialen Medien verbreiteten sich rassistische Anfeindungen über die Ursache der Infektionswelle; auf diese höchst unliebsame Aufmerksamkeit reagierten manche Bewohner wütend.

Ein Fernsehteam des Senders "Welt" wurde am Donnerstag bei Dreharbeiten unter anderem mit Kartoffeln beworfen, wie die Polizei bestätigt. Ein Bewohner, der sich nicht an Quarantäne-Auflagen gehalten hatte, wurde von Beamten abgeführt.

Offenbar haben sich bei den Feiern und danach einige Bewohner nicht an die Corona-Regeln gehalten, vermutet die Stadtverwaltung. Dort ist man entnervt. Es werde nun "kein freiwilliger Test sein, sondern wir werden das anordnen", sagte Petra Broistedt, Leiterin des Göttinger Krisenstabes. Am Donnerstag dann wurden Briefe an die Bewohner zugestellt, "leicht verständliche Bescheide, in denen steht, wann sie sich wo einzufinden haben zu einem Test", sagte Broistedt.

Zuvor hatte es offenbar erhebliche Probleme gegeben, den Bewohnern die Abstands- und Hygieneregeln deutlich zu machen. Viele stammen laut Stadtverwaltung aus dem ehemaligen Jugoslawien. Die Stadt teilt zwar mit, dass "vermutlich alle Bewohnenden über die erforderlichen Deutschkenntnisse verfügen".

Meinhart Ramaswamy aber widerspricht: "Die Sprachkenntnisse reichen oft nicht aus, um komplexe behördliche Anweisungen richtig zu verstehen." Ramaswamy sitzt für die Piratenpartei im Göttinger Kreistag, hat sich jahrelang um Geflüchtete gekümmert und kennt nach eigenen Angaben Bewohner des Iduna-Zentrums.

"Kein vertrauensvolles Miteinander zwischen Behörden und Bewohnern"

Zur Sprachbarriere kommt: "Es gibt kein vertrauensvolles Miteinander zwischen Behörden und Bewohnern", sagt Ramaswamy. Asylverfahren etwa seien jahrelang in der Schwebe gewesen, die Menschen fühlten sich zudem von der Polizei vorverurteilt. Die Brücken sind weggerissen. Dass die Stadt die Test-Anordnung nun wenigstens leicht verständlich formuliert hat und es Aushänge in mehrere Sprachen gibt, sieht er als gutes Zeichen.

Mehr solcher niedrigschwelligen Informationen wünscht sich auch Anne Leichtfuß, und zwar nicht nur in Göttingen. Sie übersetzt und dolmetscht in "leichte Sprache" - formuliert also etwa komplexes Behördendeutsch um. Das richtet sich vor allem an Menschen mit Lernbehinderungen oder geistigen Behinderungen, aber auch an alle, deren Muttersprache nicht Deutsch ist.

Für viele von ihnen seien Behörden-Broschüren und Medienberichte zu schwierig, sagt Leichtfuß. Sie hat deshalb mit anderen eine "Task Force Corona leichte Sprache" gegründet. Auf ihrer Website schreiben sie nun Dinge wie: "Es sind weniger Menschen krank. Das ist gut." Aber: "Man muss immer noch vorsichtig sein." Es dürfe niemanden geben, der Grundsätzliches über Corona nicht versteht, sagt Leichtfuß. "Bei dieser Pandemie geht es um Leben und Tod."

Bei der Testaktion im Göttinger Iduna-Zentrum am Wochenende sind nach Angaben der Stadt nun auch Dolmetscher dabei. Und die Polizei, sollte die Kommunikation doch noch einmal gründlich schieflaufen.

© SZ vom 06.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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