Coronavirus:WHO singt Lobeshymnen auf China

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Die Patienten sind entlassen – die Krankenhausmitarbeiter müssen Freudentänze aufführen: Inszenierung vor einem der Krankenhäuser in Wuhan, die für die Behandlung von Covid-19-Kranken erbaut wurden. (Foto: AFP)
  • Peking wird bei seiner Propagandastrategie im Umgang mit dem Coronavirus von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterstützt.
  • WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus sprach immer wieder von einer "totalen Offenheit" Chinas.
  • In Petitionen fordern erste Aktivisten bereits den Rücktritt von Tedros, der seit 2017 an der Spitze der WHO steht.
  • Chinas Einfluss auf die WHO ist in den vergangenen Jahren gewachsen. Während sich die USA aus vielen UN-Organisationen zurückziehen, zeigt China wachsende Präsenz.

Von Lea Deuber, Peking

Chinas Regierung hat in dieser Woche erneut die Vermutung geäußert, dass der Corona-Erreger nicht aus China stammen könnte. "Die US-Armee könnte das Virus nach Wuhan gebracht haben", schrieb der Sprecher des Außenministeriums am Donnerstag auf seinem offiziellen Twitterkanal. "Die USA schulden uns eine Erklärung."

Staatsmedien haben schon vor einer Weile angefangen, China als Ursprungsland für den Ausbruch in Zweifel zu ziehen - die Volksrepublik will stattdessen das Land sein, das den Ausbruch in den Griff bekommen und durch seine radikalen Maßnahmen die Welt gerettet hat. Seit einigen Tagen bietet die Regierung an, andere Länder beim Krisenmanagement zu unterstützen. Von China lernen, titeln die Staatsmedien, seitdem die Fallzahlen durch den verordneten Stillstand fast des gesamten Landes deutlich zurückgegangen sind. Den USA droht die Regierung hingegen, keine Medikamente mehr zu liefern. Dort hatten Politiker China für seine Vertuschungsversuche kritisiert.

Unterstützung bekommt Peking bei seiner Propagandastrategie von ungewöhnlicher Seite: der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Trotz der Versäumnisse, die vielleicht erst die globale Ausbreitung möglich gemacht haben, hat die UN-Organisation die Regierung fast uneingeschränkt unterstützt. WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus sprach immer wieder von einer "totalen Offenheit" Chinas. Die Leistung sei nicht weniger als exzellent. Die Welt stünde tief in Pekings Schuld.

Schon beim Sars-Ausbruch 2003 gab es Spannungen zwischen Peking und der Organisation

Das Auftreten der Weltgesundheitsorganisation, ihre Lobeshymnen, offiziellen Statements (etwa dass man auch den Einsatz von traditioneller chinesischer Medizin in Betracht ziehen müsse), verbunden mit der Weigerung, auch die mangelnde Transparenz und die nur zögerliche Herausgabe von Daten zu erwähnen, erntet Kritik. In Petitionen fordern erste Aktivisten bereits den Rücktritt von Tedros, der seit 2017 an der Spitze der WHO steht. Im Netz kursieren Bilder des Äthiopiers mit einer Mundschutzmaske in Form von Chinas Flagge. Er trägt sie nicht über Mund und Nase, sondern über den Augen.

Die Weltgesundheitsorganisation hat für vieles, was sie in diesen Tagen tut, ein Mandat. Wichtig ist aber auch, dass Regierungen sie als eine verlässliche Instanz akzeptieren. Die WHO ist in dieser Hinsicht wie ein Arzt, dessen Rat souveräne Staaten entweder annehmen oder ignorieren können. Entsteht der Verdacht, die Organisation könnte aus medizinisch nicht begründbaren Motiven handeln, droht sie ihre Autorität zu verlieren. Genau das beobachten Experten. Michael Collins vom Council on Foreign Relations schreibt, Chinas Image werde aufpoliert auf Kosten der Glaubwürdigkeit der UN-Organisation.

Die Weltgesundheitsorganisation stand bei Gesundheitskrisen immer wieder in der Kritik. 2009 musste sie sich dafür rechtfertigen, bei der Schweinegrippe zu früh den Notstand ausgerufen zu haben. Während des Ebola-Ausbruchs hieß es, sie habe zu lange abgewartet. In Krisenzeiten ist die Zusammenarbeit zwischen der WHO und Regierungen immer ein Balanceakt. Die Organisation muss möglichst viele Informationen zu einem Ausbruch sammeln, muss dabei aber darauf achten, dass die betroffenen Staaten sich nicht unter Druck gesetzt fühlen.

In China ist das eine besonders schwierig. 2003, nachdem das Land drei Monate lang den Ausbruch von Sars verheimlicht hatte, herrschten zwischen der WHO und Peking massive Spannungen. Die WHO forderte die Regierung auf, der Sicherung der globalen Gesundheit Priorität zu geben. China pochte indes auf seine Souveränität. Der Streit führte zu einer historischen Entscheidung: Zum ersten Mal verhängte die WHO ohne Einwilligung eines Landes Reisebeschränkungen. Die damalige Chefin der WHO kritisierte Peking offen: "Es wäre definitiv hilfreich gewesen, wenn internationale Fachkräfte und die WHO früher hätten helfen können."

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Auch dieses Mal ist wertvolle Zeit verloren gegangen, weil der Corona-Ausbruch zunächst vertuscht wurde. Die WHO hat das bisher kaum thematisiert. Anfangs kritisiert die Organisation gar die Entscheidung anderer Staaten, Einreiseverbote für Menschen aus China zu verhängen - genau wie die chinesischen Staatsmedien.

Chinas Einfluss auf die WHO ist in den vergangenen Jahren gewachsen. Während sich die USA aus vielen UN-Organisationen zurückziehen, zeigt China wachsende Präsenz. Der US-Beitrag zum Budget der WHO ist zwar immer noch deutlich höher als der Chinas. Doch Peking hat erst vor einer Weile die Verdoppelung seiner freiwilligen Zahlungen angekündigt. Kurz darauf reiste Tedros nach Peking und sprach sich für eine WHO-Beteiligung an der Neuen Seidenstraße aus. Er selbst stammt aus einem Land, in dem China Milliarden investiert. In Afrika ist China inzwischen zu einem wichtigen Akteur geworden. Auch in Kooperation mit der WHO.

Gleichzeitig hat Peking aus 2003 gelernt. In der Kommunikationsstrategie verweist das Land nicht mehr auf die eigene Souveränität und reklamiert ein Recht auf Nichteinmischung für sich. Vielmehr wird die Seuchenbekämpfung als ein Opfer des chinesischen Volks für die Welt und die Sicherung der globalen Gesundheit dargestellt. Zwar hat sich die Regierung lange geweigert, unabhängige Beobachter ins Land zu lassen und einige Daten nur zögerlich geteilt - aber die WHO blendet diese Probleme aus, wie Christian Kreuder-Sonnen von der Universität Jena beschreibt, der zu Beziehungen zwischen China und der WHO forscht. Offenbar wollte die UN-Organisation unbedingt verhindern, dass Peking wie 2003 wieder mauern würde. Tedros, so bestätigt ein Zuarbeiter des WHO-Chefs, habe sich deshalb sehr früh zu Wort gemeldet, ehe überhaupt die Fakten aus China bekannt waren.

Der WHO-Bericht lobt die Regierung und blendet die Fehler aus

Als politischer Akteur steht die WHO nun wieder unter Druck. Die Pandemie wird eines Tages aufgearbeitet werden müssen - die Arbeit der WHO kommt dann unter die Lupe. Im Fall der Corona-Epidemie schienen einige in Genf einfach froh zu sein, dass China überhaupt etwas unternommen hatte. Eine Haltung, die sich auch in dem Bericht der WHO-Mission widerspiegelt, die im Februar für neun Tage im Land unterwegs war. Der Bericht ist auch Grundlage für die aktuellen Handlungsempfehlungen des Robert-Koch-Instituts. In ihm heißt es unter anderem, China habe die "ambitionierteste, schnellste und aggressivste Anstrengung zur Krankheitsdämmung in der Menschheitsgeschichte" unternommen.

Von den chinesischen Mitgliedern der Gruppe wurde der Report mehrfach überarbeitet, bevor er veröffentlicht wurde, wie mehrere Mitglieder der Delegation bestätigen. Nun heißt es darin unter anderem, dass Parteichef Xi Jinping persönlich und ohne Verzögerung alle notwendigen Maßnahmen ergriffen hätte, um die Lage unter Kontrolle zu bringen.

Dale Fisher, Missionsteilnehmer von der Universität Singapur sagt, dass sie bei ihrer Reise nicht die politische Lage und andere Umstände wie Meinungsfreiheit, Repression oder Menschenrechte beurteilt hätten. "Wir beschreiben, welche Methoden China genutzt hat, um den Ausbruch einzudämmen und was die Welt davon lernen kann." Die Konsequenzen der Maßnahmen für die Bevölkerung hätten bei ihrer Bewertung keine Rolle gespielt.

Ein anderer Teilnehmer bestätigt, dass man vor Ort auch von schlimmen Folgen der Isolationspolitik gehört habe. Zum Beispiel von einem behinderten Kind, das verhungert war, weil seine Eltern wegen der Quarantäne nicht nach Hause konnten. Hätte man einen kritischen Bericht schreiben wollen, so der Virologe, wäre das sicher nur ein kurzer Ausflug geworden.

© SZ vom 14.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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