Coronavirus in China:Wenn Misstrauen viral wird

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Auch die Bewohner Hongkongs haben kein großes Vertrauen ins Krisenmanagement Pekings: 2003 traf der Sars-Virus die Stadt völlig unvorbereitet, weil China die Sonderverwaltungszone nicht informierte. (Foto: Kin Cheung/dpa)
  • China hat die Elf-Millionen-Stadt Wuhan und zwei weitere abgeriegelt, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen.
  • Die Staatspresse sieht in dem Krisenmanagement der chinesischen Behörden ein Beispiel für den großen Fortschritt Chinas.
  • Der erhöhte Druck der Regierung auf die Lokalbehörden aber macht die Situation unberechenbarer.

Von Lea Deuber, Peking

Elf Millionen Menschen stehen in der zentralchinesischen Stadt Wuhan seit Donnerstagmorgen de facto unter Quarantäne. Die Zahl mit dem Coronaerreger infizierter Menschen ist in den vergangenen Tagen rapide gestiegen. Mindestens 634 Infizierte, 17 Tote und viele Schwererkrankte - so ist der Stand am Donnerstagabend. Peking hatte zuvor keine andere Möglichkeit mehr gesehen, als die Millionenmetropole abzuriegeln.

Ähnliche Restriktionen gelten nun auch für die benachbarten Städte Ezhou und Chibi. Die Bahnhöfe in den Städten waren am Donnerstag mit Soldaten umstellt. Die Beschränkungen gelten damit für 20 Millionen Menschen - weltweit ein bisher einmaliger Vorgang. Wuhan ist ein zentraler Verkehrsknotenpunkt in China. Etwa 15 Millionen Menschen sollten während des Frühlingsfests über die Metropole in ihre Heimatstädte reisen. Am Donnerstag war das höchste Reiseaufkommen erwartet worden.

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Die Behörden hoffen, so die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. Die Elf-Millionen-Metropole Wuhan und zwei weitere Städte wurden abgeriegelt.

Wer Infektionen vertusche, müsse mit schweren Strafen rechnen, kündigte die Partei an

Das Krisenmanagement Pekings sei in diesen Tagen ein Beispiel für den großen Fortschritt Chinas, schreibt die Staatspresse über das harte Vorgehen der Regierung. Die Führung habe aus den Fehlern von 2003 gelernt. Damals hatten die Behörden den Ausbruch des Sars-Virus drei Monate lang vertuscht. Fast 800 Menschen waren gestorben, Tausende erkrankt. Heute sei das in dieser Form nicht mehr möglich, kommentiert die Presse. Inzwischen spricht aber einiges dafür, dass die Lokalregierung entgegen der Behauptungen nicht unverzüglich alle Informationen weitergegeben hat.

Am Montag sprach das Zentrum für Seuchenbekämpfung in Wuhan noch davon, dass das Virus nicht besonders ansteckend sei. Mittlerweile scheint klar zu sein, dass die Behörden zu diesem Zeitpunkt bereits elf Tage wussten, dass sich mindestens ein Mitarbeiter in einem Krankenhaus infiziert hatte - ein Hinweis auf die hohe Ansteckungsgefahr durch den Virus. Peking lässt im Netz inzwischen Kritik am Vorgehen der Behörden löschen. Selbst in privaten Nachrichtenchats erreichen Meldungen ihren Empfänger nicht mehr. Das Vorgehen zeigt, dass es Peking auch 15 Jahre nach der Sars-Epidemie schwerfällt, die Krise mit Transparenz in den Griff zu kriegen.

Die Woche begann in China mit einem bemerkenswerten Statement. Auf der Kurznachrichtenplattform Weibo veröffentlichte die Kommunistische Partei am Dienstag einen Appell an seine Kader. Sie müssten nun möglichst viel Offenheit walten lassen. Wer Infektionen in seiner Region vertusche oder seine eigenen politischen Interessen über die Gesundheit des Volkes stelle, müsse mit schweren Strafen rechnen. Die Glaubwürdigkeit der Regierung habe durch das Verhalten während der Sars-Epidemie 2003 gelitten. Das dürfe sich nicht wiederholen.

Panik in der Bevölkerung zeigt das mangelnde Vertrauen in die Führung

Die Selbstkritik war für Peking zwar bemerkenswert. Im Umgang mit der Krise dürfte sie aber wenig ausrichten. In China gibt es immer einen Unterschied zwischen dem, was die Kommunistische Partei anordnet, und den tatsächlich Maßnahmen, die auf lokaler Ebene umgesetzt werden. Präsident Xi Jinping hat die Macht zwar stärker auf sich vereint. Die Provinzen sind dadurch näher gerückt - und damit auch Pekings Kontrolle über sie. Das bedeutet aber nicht, dass die lokalen Behörden stets tun, was Peking will.

Durch die schnelle Ausbreitung und die zahlreichen Fälle im Ausland steht das Land international unter Druck. Die Krankheitsfälle im Ausland zwingen China dazu, Handlungsfähigkeit zu beweisen. Die Quarantäne in Wuhan ist nicht nur ein Signal nach innen, sondern auch nach außen. Indem der Staatschef die Lösung der Krise zur Chefsache erklärt hat, ist der Druck auf die Lokalbehörden exponentiell gestiegen. Das macht die Sache paradoxerweise nicht besser, sondern unberechenbarer. Es erhöht die Gefahr, dass Lokalregierungen einen Ausbruch in ihrer Region oder Fehler bei der Bekämpfung der Epidemie zu verschleiern versuchen.

Bis heute zeigt sich dieses Phänomen etwa bei den Wirtschaftszahlen. Gerade erst korrigierten fast die Hälfte aller Provinzen des Landes ihr Ergebnis für 2018 nach unten, nachdem die Zentralregierung ihre Zahlen überprüfen ließ. Sie waren allesamt zu hoch angegeben. Von Premier Li Keqiang ist zum Beispiel bekannt, dass er den gemeldeten Wirtschaftszahlen so wenig vertraut, dass er sich stattdessen lieber drei Faktoren anschaut: die Höhe der Kreditvergaben, das Warenvolumen, das per Schiene transportiert wird, sowie den Energieverbrauch. Der Li-Keqiang-Index steht für das Misstrauen der chinesischen Spitze gegenüber dem eigenen System. Dass die Behörden in Wuhan die neuen Krankheitsfälle am Wochenende nicht meldeten, ist höchstwahrscheinlich auf ähnliche Muster zurückzuführen. Der Anstieg durfte nicht sein, also meldete man ihn nicht.

Die Panik in der Bevölkerung, die zu Hamsterkäufen von Masken und Lebensmitteln geführt haben, verdeutlichen gleichzeitig das mangelnde Vertrauen der Bevölkerung in ihre Regierung. Präsident Xi Jinpings Rede an die Nation beruhigte viele Menschen nicht, sondern verstärkte vielmehr die Furcht. Dabei spielen auch die Medien eine Rolle. Unter Xi gibt es fast keine freie Berichterstattung mehr. Bereits jetzt hat die Regierung den Druck auch auf die letzten chinesischen Journalisten erhöht, die vergleichsweise frei über die Krankheitswelle berichten.

Die Staatsmedien hingegen halten sich inzwischen deutlich stärker zurück. Die wichtigste Tageszeitung in China, die Volkszeitung, hatte am Donnerstag keine Zeile zu Wuhan auf der Titelseite. Hunderte Millionen Menschen informieren sich deshalb übers Netz. Das tief sitzende Misstrauen führt dazu, dass jeder Screenshot eines angeblichen Chatverlaufs aus einem Messengerdienst eine höhere Glaubwürdigkeit genießt als die Berichte in den Staatsmedien.

© SZ vom 24.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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