Er habe einen Stundenplan ausgearbeitet für die Feiertage, sagt Jörg Radek, damit er einerseits mit seiner Patchwork-Familie und dem 90-jährigen Schwiegervater Weihnachten verbringen könne, andererseits aber die Corona-Auflagen nicht verletze. Der Vizechef der Gewerkschaft der Polizei spricht über die Kontrollen während der Feiertage, Rechtsextremismus-Skandale bei der Polizei und allgemein über ein Jahr zum Vergessen.
SZ: "So ein Jahr wie dieses habe ich noch nicht erlebt" haben Sie gesagt, da war aber erst Juli. Wie lautet die Bilanz ein halbes Jahr später?
Jörg Radek: Ich bin jetzt 42 Jahre Polizist, habe die Castor-Transporte erlebt, die Fußball-WM 2006, diverse G-7-, G-8- und G-20 Gipfel. Aber nichts ist mit diesem Jahr vergleichbar. Bei sämtlichen Einsätzen gibt es jetzt diese unsichtbare Gefahr. Polizisten werden immer wieder angehustet oder angespuckt. Früher hätte man sich danach einfach gewaschen. Jetzt haben viele Angst, sich mit Corona zu infizieren.
Wie hoch sind die Infektionszahlen bei der Polizei?
Ich darf keine konkreten Zahlen nennen, das ließe Rückschlüsse auf die Einsatzstärke zu. Die Infektionen entwickeln sich so wie in der Bevölkerung insgesamt, sie steigen gerade also an. Es ist deshalb richtig, dass die Innenminister sich darum kümmern wollen, dass Polizisten schon früh im kommenden Jahr geimpft werden sollen.
Muss man sich denn Sorgen machen, dass die Polizei vor lauter Corona-Fällen nicht mehr arbeiten kann?
Nein, wir haben eine solide Einsatzfähigkeit. Das liegt auch daran, dass einige personalintensive Einsätze im Moment nicht stattfinden. In der Fußball-Bundesliga zum Beispiel, bei Geisterspielen braucht man natürlich viel weniger Polizisten als dann, wenn die Fans kommen. Dadurch haben wir Kapazitäten frei für das, was jetzt von uns erwartet wird.
Was wird denn jetzt von Ihnen erwartet?
Wir erhöhen gerade die Präsenz im öffentlichen Raum, um zusammen mit den Ordnungsämtern die Corona-Auflagen zu kontrollieren. Außerdem müssen wir die Impfzentren schützen. Ich will keine Gefahren herbeireden, aber es gibt die Prognose, dass die Impfzentren angegriffen werden könnten. Außerdem kommt ein riesiger Einsatz an Silvester auf uns zu: Da müssen wir das Versammlungsverbot durchsetzen.
Auch an Weihnachten gelten strenge Beschränkungen. Muss man damit rechnen, das die Polizei an Heiligabend vor der Tür steht und kontrolliert?
Wir werden nicht anlasslos von Haus zu Haus gehen und nachzählen, wie viele Leute am Tisch sitzen. Das ginge auch gar nicht, das wäre ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Unversehrtheit der Wohnung. Aber wenn wir Hinweise bekommen, dass irgendwo Regeln verletzt werden, dann gehen wir dem nach.
Ohne den Ernst der Lage kleinreden zu wollen: Viele Menschen empfinden ein komisches Gefühl bei der Vorstellung, dass die Nachbarn einen an die Polizei verpfeifen könnten.
Das kann ich verstehen, das wäre auch nicht mein Weg. Ich würde erst mal selbst zu den Nachbarn gehen und - falls da wirklich zu viele Leute sind - sie bitten, sich an die Regeln zu halten. Man sollte nicht immer sofort die Polizei rufen. Diese Pandemie erfordert von uns allen auch ein Stück Zivilcourage.
Vom Jahr 2020 wird ein Bild in Erinnerung bleiben, das viele erschüttert hat: Reichsflaggen schwenkende Querdenker auf den Stufen des Reichstagsgebäudes - und drei Polizisten, die sich ihnen im letzten Moment entgegenstellen. Was ist eigentlich aus den dreien geworden, wurden die befördert?
Der Einsatz fand große Anerkennung. Eine besondere Ehre für die drei und weitere Kollegen war das Gespräch kurz darauf bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue.
Hat die Polizei bei der Demo in Berlin im August Fehler gemacht?
Das kann ich nicht beurteilen, ich habe keine umfassenden Informationen dazu. Aber die Polizei hat gezeigt, dass sie solche Großlagen beherrschen kann, etwa bei der Demo am Brandenburger Tor im November. Die Novelle des Infektionsschutzgesetzes hat dafür Rechtssicherheit geschaffen, das war wichtig.
Bei der Demo am Brandenburger Tor, die Sie ansprechen, setzte die Polizei Wasserwerfer ein. Unter den Demonstranten waren auch Familien mit Kindern. War das verhältnismäßig?
Die Polizistinnen und Polizisten sind umsichtig vorgegangen, sie haben gesehen, dass nicht alle Teilnehmer rechtsextreme Hooligans waren. Auf die Familien haben sie Rücksicht genommen. Aber es ist wichtig, dass die Polizei die Gesetze auch gegenüber Querdenkern durchsetzt. Die wollen den Staat destabilisieren. Für mich sind die Querdenker Feinde der Freiheit.
2020 war auch das Jahr rechtsextremer Vorfälle bei der Polizei, in NRW haben mutmaßlich Polizisten in einer Chatgruppe Hitlerbilder und die Fotomontage eines Flüchtlings in einer Gaskammer ausgetauscht. In Hessen und anderen Bundesländern gab es ebenfalls Vorfälle. Was tut die Polizei, um so etwas künftig zu verhindern?
Ich bin froh, dass die Innenministerkonferenz vergangene Woche zwei Studien beschlossen hat. Eine soll den Extremismus in der deutschen Gesellschaft erforschen, die andere untersucht den Berufsalltag der Polizisten.
Das ist aber noch kein klares Bekenntnis zu einer Rassismus-Studie bei der Polizei. Auch Sie haben sich gegen eine solche Studie ausgesprochen. Warum?
Wir sagen: Wenn wir in der deutschen Gesellschaft ein Problem mit Rassismus haben, dann muss das auch gesamtgesellschaftlich untersucht werden.
Aber die Zahlen weisen doch darauf hin, dass es bei der Polizei ein Problem gibt. Der Verfassungsschutz zählte seit 2017 mehr als dreihundert nachgewiesene und mutmaßliche Fälle von Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden.
Überhaupt keine Frage: Wer sich antisemitisch oder in anderer Form extremistisch äußert, der muss aus der Polizei entfernt werden. Aber die berufsspezifischen Untersuchungen, die ich kenne, bieten keine Lösungsansätze, sie bleiben in einer Vorwurfshaltung stecken. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit den gerade beschlossenen Studien die Ursachen von Extremismus ergründen können. Die Polizei tut hier übrigens schon viel, es gibt zahlreiche Fortbildungsprogramme. Ein strukturelles Problem mit Rassismus sehe ich bei der Polizei nicht, der absolute Großteil sind rechtschaffene Leute. Aber es sind zu viele Einzelfälle. Damit muss Schluss sein.
Was wünschen Sie sich für das kommende Jahr?
Ich wünsche mir, dass nicht noch so ein Jahr wie 2020 kommt. Sondern ein wesentlich besseres.