Zu den vertrauensbildenden Maßnahmen, mit denen die Corona-Warn-App einer möglichst großen Zahl von Handynutzern nahegebracht werden soll, gehört ein heiliges Versprechen der Bundesregierung: Installation und Nutzung der App seien vollkommen freiwillig. Rechtlich gibt es in der Tat keine App-Pflicht - aber faktisch könnte sich das anders entwickeln. Denn falls sich das Tool tatsächlich als wirksam bei der Warnung potenziell Infizierter erweist, wäre der durchschnittliche Corona-App-Nutzer weniger ansteckungsträchtig als seine Mitmenschen ohne App. Die meisten werden sich ja testen lassen, sobald ein riskanter Kontakt gemeldet wird.
Das aber wirft ungemütliche Fragen auf: Darf ein Betrieb, der sich gerade mühsam vom Shutdown erholt, seine Belegschaft zum Download verpflichten, um die Firma virenfrei zu halten? Kann der Restaurantbesitzer, der endlich wieder öffnen darf, Besucher ohne Warn-App abweisen? Droht also, mit anderen Worten, die Diskriminierung app-loser Menschen? Und was wäre das Freiwilligkeitsversprechen dann noch wert?
Die Bundestagsfraktion der Grünen hat an diesem Dienstag einen Gesetzentwurf beschlossen, der dies unterbinden soll. Niemand dürfe benachteiligt werden, "weil sie oder er keine Anwendung auf einem Mobilgerät installiert, die der Nachverfolgung von Infektionsrisiken durch den Nutzer dient", heißt es dort. Nicht beim Einkaufen, nicht in der Kneipe, auch nicht im Job. Eine Installationspflicht "unterliegt nicht dem Direktionsrecht des Arbeitgebers und darf nicht Gegenstand von Betriebsvereinbarungen sein". Das Benachteiligungsverbot müsse gesetzlich abgesichert werden, fordert die Grünen-Politikerin Katja Keul.
Kneipen und Läden könnten die App zur Pflicht machen
Ist das so? Zwar mehren sich die Stimmen, die mit sehr guten Argumenten eine gesetzliche Regelung der vielen offenen Fragen von Quarantäne bis Krankschreibung fordern. Aber zumindest beim Verhältnis zum Arbeitgeber sieht Nathalie Oberthür, Fachanwältin für Arbeitsrecht, keinen dringenden Regelungsbedarf. Die Installation einer App gehöre nicht zum Direktionsrecht des Arbeitgebers, das greife zu tief in die Persönlichkeitssphäre ein. Allenfalls könne die App auf dienstlichen Handys vorinstalliert werden - aber ihre Aktivierung könne der Arbeitgeber nicht durchsetzen, sagt Oberthür. Wer sich allerdings mit einer Warnmeldung selbst an seinen Betrieb wende, den könne der Chef nach Hause schicken - bei Weiterzahlung des Lohns.
Die Sorge um eine Diskriminierung bei Einkauf und Kneipenbesuch hingegen trifft einen wunden Punkt. Grundsätzlich darf jeder Wirt und Ladenbesitzer frei entscheiden, wem er Zutritt gewährt. Das nennt man Privatautonomie. Nur wenn es sich um den einzigen Supermarkt weit und breit handelt, mag die Pflicht bestehen, jeden Kunden einzulassen. Hier könnte also ein Gesetz nötig sein, das den Eintritt für alle sicherstellt. Oder doch nicht? Martin Schmidt-Kessel, Professor für Verbraucherrecht an der Universität Bayreuth, hat erhebliche Zweifel, ob der Grünen-Vorschlag verfassungsrechtlich haltbar wäre. Denn auch Ladenbesitzer und Gastwirte hätten zweifellos ein berechtigtes Interesse, sich gegen Schließungen wegen drohender Neuinfektionen zu wappnen. Der Schutz potenzieller Kunden vor Diskriminierung sei legitim - aber er dürfe nicht automatisch und ohne jede Abwägung über die Belange aller sonstigen Betroffenen gestellt werden. "Der Vorschlag ist meines Erachtens in jeder Hinsicht inakzeptabel", sagte er der Süddeutschen Zeitung.
Könnte also sein, dass Gewerbetreibende Kunden ohne Corona-App ausschließen dürfen. Falls sie sich es denn finanziell leisten können.