Rumänien:Ein Land im Würgegriff

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Das Parlament hat den rumänischen Ministerpräsidenten Florin Cîțu per Misstrauensvotum abgewählt. Noch ist er kommissarisch im Amt. (Foto: Inquam Photos/REUTERS)

In Rumänien wütet das Coronavirus beinahe ungebremst. Das hat viel damit zu tun, dass es in dem EU-Mitgliedsstaat keine funktionierende Regierung gibt.

Von Cathrin Kahlweit

Anfang Oktober ist der rumänische Ministerpräsident, Florin Cîțu, per Misstrauensvotum vom Parlament abgewählt worden; fast alle Abgeordneten haben ihm das Vertrauen entzogen. Vorher hatte sich seine liberalkonservative Partei, die PNL, bereits in einem heftigen Machtkampf zerlegt, und seit dem Aus für Cîțu ist es nicht gelungen, eine neue Regierungskoalition zusammenzuzimmern. Präsident Klaus Iohannis mischt hinter den Kulissen heftig mit. Der Versuch, einen neuen Ministerpräsidenten zu installieren, scheiterte am Mittwoch. Damit befindet sich das arme und von Korruption zerfressene Land, einmal mehr, in einer länger andauernden Regierungskrise; seit 2012 gab es 17 verschiedene Premiers, 13 verschiedene Regierungen und Dutzende Ministerwechsel.

Das ist deshalb derzeit besonders dramatisch, weil neben vielen Reformen, die Rumänien bitter bräuchte, auch die Pandemie das Land im Würgegriff hält. In dem osteuropäischen Land meldeten die Gesundheitsbehörden Mitte der Woche knapp 20 000 Neuinfizierte; allein von Dienstag auf Mittwoch starben 574 Menschen an Covid - mehr als in der gesamten EU zusammen. Die große Mehrheit der Toten war ungeimpft. Laut dem Online-Medium Balkan Insight räumte der frühere Gesundheitsminister Nelu Tătaru, der den vorerst kommissarisch weiterregierenden Ministerpräsidenten Cîțu derzeit berät, ein, in Wahrheit sei die Zahl der Infizierten wohl sogar bis zu zehn Mal höher.

Die zweitniedrigste Impfquote in der EU

Rumänien hat neben hohen Infektions- und Sterbezahlen mit 35 Prozent auch die zweitniedrigste Impfquote in der EU, vor Bulgarien. Experten führen das auf höchst unterschiedliche Ursachen zurück: auf die schlechte Regierungsarbeit, ein völlig überfordertes Gesundheitssystem und starke Kräfte in der Gesellschaft, die vor negativen Folgen der Impfung warnen oder sie gar verteufeln - von prominenten Verschwörungserzählern im Fernsehen bis hin zur rumänisch-orthodoxen Kirche.

Der Direktor der Impfkampagne in Rumänien beklagte sich bereits bitter über das Chaos in den Krankenhäusern aufgrund hoher Infektionszahlen. Er fürchte, so Valeriu Gheorghiță, dass die Intensivstationen wegen der rasant steigenden Zahl von Covid-Infizierten quasi im Belagerungszustand seien - und dass sie deshalb andere schwere Krankheiten, Notfälle, Unfälle, schlicht nicht mehr behandeln könnten. Rumänien hat insgesamt nur 1668 Intensivbetten, 30 schwerkranke Patienten hat Rumänien bereits ins Nachbarland Ungarn verlegt. In rumänischen Medien ist die Rede von einer "Apokalypse" und "kriegsähnlichen Zuständen".

Der sozialdemokratische Abgeordnete und renommierte Mikrobiologe Alexandru Rafila, der unter anderem für die Weltgesundheitsorganisation WHO und die EU tätig ist, schickte in einer Fernsehsendung deshalb einen Warnruf durch das Land: Jede Woche verschwinde, umgerechnet auf die Bevölkerung, eine Kleinstadt, so Rafila. Die Situation werde sich noch verschlimmern, wenn die vierte Welle, was zu befürchten sei, lange andauere. Er forderte dazu auf, sich impfen zu lassen. Würde die derzeitige Impfgeschwindigkeit beibehalten, hat die WHO vorgerechnet, würde es noch etwa zweieinhalb Jahre dauern, bis 70 Prozent der Bevölkerung geimpft wäre - das entspräche dem heutigen Durchschnitt der EU-Länder. Und noch ein Problem kommt, als sei das alles nicht genug, hinzu: Derzeit ermitteln die Behörden gegen 850 Verdächtige wegen gefälschter PCR-Tests und falscher Impfzertifikate.

Nun kehrt die Maskenpflicht zurück

Aufgrund der Dramatik der Lage hat der Staatspräsident am Mittwoch eine Art Notbremse gezogen. Er verordnete zweiwöchige Ferien für alle Schüler, weil, so Iohannis bei einer Pressekonferenz auf seinem Amtssitz Schloss Cotroceni, Schüler und Lehrer besonders gefährdet seien. Die allgemeine Verpflichtung zum Tragen von Gesichtsmasken, die erst im Spätfrühling abgeschafft wurde, wird ab Montag wieder eingeführt. Nachts darf nur noch das Haus verlassen, wer geimpft ist, auch die Teilnahme an zahlreichen Aktivitäten soll künftig nur noch jenen erlaubt werden, die einen grünen Impfpass haben.

Der Präsident verglich die Lage in Rumänien in drastischen Worten mit anderen EU-Staaten: Dort sei eine Entspannung zu beobachten, das Alltagsleben normalisiere sich zusehends, während Rumänien eine Katastrophe erlebe. "Daher, liebe Landsleute", so Iohannis, "wenn Sie die Pandemie beenden wollen, lassen Sie sich impfen. Und wenn Sie nicht im Krankenhaus auf einer Intensivstation enden wollen, lassen Sie sich impfen." Die Bürger sollten denen nicht glauben, die ihnen einzureden versuchten, dass die Impfstoffe gefährlich seien. Das einzige, was passiere, sagte er in einfachen Worten: "Sie erkranken nicht schwer - und wir als Gesellschaft werden diese schreckliche Seuche los."

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