Coronavirus:Johnsons Doppelschlag gegen das Virus

Lesezeit: 1 min

Premierminister Boris Johnson verkündet weitreichende wirtschaftliche Maßnahmen. (Foto: Reuters)
  • Die britische Regierung schließt alle Restaurants, Bars, Kinos, Theater, Konzerthäuser und Fitnessclubs.
  • Sie kündigte an, vorerst für ein Jahr 80 Prozent der Löhne von Arbeitnehmern zu subventionieren, die sonst kein Geld bekommen oder gekündigt werden müssten.
  • Außerdem würden Steuern gestundet, Vorauszahlungen aufgeschoben, der Sozialhilfeanspruch werde pro Jahr um 1000 Pfund pro Anspruchsberechtigen erhöht.

Von Cathrin Kahlweit, London

Die britische Regierung hat sich bei der Einschränkung der Bewegungsfreiheit ihrer Bevölkerung und der Erzwingung soziale Isolation lange eher zögerlich gezeigt. Doch am Freitagabend legte Boris Johnson mit einem Doppelschlag nach. Bei seiner mittlerweile täglich abgehaltenen Pressekonferenz verkündete der Premierminister Maßnahmen, die in vielen anderen Ländern bereits gelten und im Königreich bisher vorwiegend freiwillig erfolgten:

Von Freitagabend an werden alle Restaurants, Bars, Kinos, Theater, Konzerthäuser und Fitnessclubs geschlossen. Läden bleiben offen, der öffentliche Nahverkehr wird - auf reduziertem Niveau - aufrechterhalten, Ausgangssperren wird es vorerst nicht geben. Gleichwohl ist dies eine Abkehr von der noch vergangene Woche propagierten "Herdenimmunität", bei der eine möglichst schnelle Immunisierung der Bevölkerung durch einen Verzicht auf soziale Isolation erreicht werden sollte.

Covid-19
:Brauchen wir mehr Herdenimmunität?

In Großbritannien und den Niederlanden wurde diskutiert, ob sich Menschen möglichst schnell mit dem Coronavirus infizieren sollten, um immun zu werden. Könnte das funktionieren?

Von Berit Uhlmann

Mindestens ebenso aufsehenerregend aber waren die Ankündigungen des jungen Finanzministers Rishi Sunak, der erst vor wenigen Tagen ein Hilfspaket von mehr als 300 Milliarden Pfund für die Wirtschaft verkündet hatte. Die britische Regierung kündigte nun an, vorerst für ein Jahr die Subventionierung von 80 Prozent der Löhne und Gehälter all jener Arbeitnehmer zu finanzieren, die freigestellt oder ganz gekündigt würden; die Obergrenze liegt bei etwa 2500 Pfund.

Er forderte Firmen auf, auf Kündigungen zu verzichten und die unbürokratischen Hilfen in Anspruch zu nehmen. Steuern würden gestundet, Vorauszahlungen aufgeschoben, der Sozialhilfeanspruch werde pro Jahr um 1000 Pfund pro Anspruchsberechtigen erhöht. Schon zuvor hatte die Regierung Vermieter aufgefordert, Mieter, die mit Zahlungsrückständen kämpften, nicht gleich auf die Straße zu setzen und Banken aufgerufen, Hypothekenforderungen auszusetzen.

Großbritannien hat seit langem einen stark abgespeckten Sozialstaat; allein in den letzten zehn Jahren sparten Tory-Regierungen etwa ein Drittel der öffentlichen Ausgaben ein. Kurzarbeit ist stark reglementiert, Kranken- und Arbeitslosengeld sind sehr niedrig, das System der Sozialhilfe, Universal Credit genannt, hochkompliziert und unterfinanziert. Kritiker der neuen Maßnahmen fragen sich jetzt, ob viele Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter durchaus halten könnten, jetzt womöglich umso leichtherziger mit der Freistellung liebäugeln, damit die Löhne vom Staat teilfinanziert werden. In den vergangenen Tagen, als viele Restaurants und Kultureinrichtungen schon freiwillig schlossen, wurden bereits Zehntausende in die Arbeitslosigkeit entlassen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusCorona in England
:Very British

Die Corona-Politik der britischen Regierung um Boris Johnson erinnert an Denkweisen, die vor 200 Jahren aktuell waren. Das Virus legt die Unterschiede zwischen Europa und Großbritannien noch radikaler offen als der Brexit.

Von Alexander Menden

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: