Ob er es möchte oder nicht: James Comey ist nun Teil des Wahlkampfs. Die Ankündigung des FBI-Direktors, weitere Nachforschungen zu Hillary Clintons E-Mail-Praktiken als Außenministerin anzustellen, hat Amerika elf Tage vor der Wahl überrascht. Als wäre dieser Wahlkampf-Oktober nicht ohnehin voller seltsamer Wendungen gewesen.
Darüber, was von Comeys Schritt zu halten ist, streiten sich die politischen Parteien. Der 55-Jährige steht in dem Ruf, unabhängig und prinzipientreu zu sein. Zugleich hat er in seiner Zeit als FBI-Chef politische Gefilde offensiver als viele seiner Vorgänger betreten.
Als stellvertretender Justizminister unter George W. Bush eilte er 2004 zum Krankenbett seines Chefs John Ashcroft, um die Unterzeichnung von Überwachungsgesetzen zu verhindern. Das wurde ihm als Standfestigkeit ausgelegt, obwohl die Gesetze nur leicht abgeschwächt wurden und er sein bereits formuliertes Rücktrittsgesuch niemals abschickte.
Barack Obama machte den Republikaner 2013 zum FBI-Chef, auch um zu demonstrieren, dass seine Regierung einen eigensinnigen Chef der obersten Polizeibehörde des Bundes verkraftet. Prompt erhob Comey Widerspruch, als die Obama-Regierung bestimmte Mindeststrafen abschaffte, die vor allem Afroamerikaner betrafen. Später sprach er dann von einem "Ferguson-Effekt", demzufolge die steigende Mordrate in einigen Städten mit der größeren Zurückhaltung der Polizei nach den afroamerikanischen Protesten gegen Polizeigewalt zusammenhingen. Dieser Zusammenhang ist nicht belegt.
Der Verdacht, dass Comey auch dieses Mal ein politisches Spiel spielt, kommt naturgemäß aus dem progressiven Lager. "Es gab keinen Grund, diesen Brief zu schicken", klagte Matthew Miller, Demokrat und ehemaliger Sprecher des Justizministerium, gegenüber Politico. Es sei die ungeschriebene Regel für Beamte und Ministerien missachtet worden, 60 Tage vor der Wahl nichts zu tun, was als Beeinflussung gesehen werden könnte.
Eine Verzögerung hätte der Glaubwürdigkeit geschadet
Comey könnte allerdings keine andere Wahl gehabt haben, als sich mitten hinein ins politische Minenfeld zu wagen. Offenbar liegen neue, aber noch nicht ausgewertete E-Mails in der Causa Clinton vor. Sie stammen wohl von ihrer Vertrauten Huma Abedin und wurden im Zuge der Sexting-Ermittlungen des FBI gegen deren skandalaffinen Noch-Ehemann Anthony Weiner gefunden ( er hatte mit einer 15-Jährigen anzügliche Fotos und Nachrichten ausgetauscht).
Ob diese wirklich etwas mit der Ex-Außenministerin zu tun haben, ist offensichtlich noch unklar. Weil das aber zunächst überprüft werden muss, ist Comeys Aussage vom Juli hinfällig: Damals hatte er dem Kongress unter Eid erklärt, dass das FBI die Überprüfung der E-Mail-Praxis beendet habe und dem Justizministerium davon abrate, Klage zu erheben. Für den Fall möglicher neuer Erkenntnisse muss er als Regierungsmitarbeiter seine Aussagen ergänzen - was er in einem Brief an die Vorsitzenden der zuständigen Ausschüsse im Kongress auch tat.
Ein Aufschieben der Entscheidung über die E-Mail-Überprüfung bis nach der Wahl hätte die Integrität des FBI ebenso in Zweifel gezogen wie ein Verzicht auf weitere Nachforschungen. Die US-Bürger hätten entweder gewählt, ohne darüber informiert gewesen zu sein, dass Hillary Clinton im E-Mail-Skandal weiteres Ungemach drohen könnte. Oder das FBI hätte sich vorhalten lassen müssen, aus politischen Gründen nicht alle Spuren zu verfolgen.
Doch sind die Amerikaner seit Freitag wirklich besser informiert? Im Brief finden sich keine Details, ein Briefing für Medien oder zumindest die Washingtoner Ausschuss-Vorsitzenden gab es nicht. Rechtsexperten streiten auch, ob Comey trotz laufender Ermittlungen vielleicht Spielraum für den Hinweis gehabt hätte, dass es sich bei dem neuen Material nicht um Mails vom Clinton-Server handelt. Oder darauf, dass ihr Team keine E-Mails zurückgehalten hat, die plötzlich irgendwo anders aufgetaucht sind. Wohlwollend interpretiert, ist Comey auf Nummer sicher gegangen; weniger wohlwollend betrachtet, hat er mehr Raum für Spekulationen geschaffen, als nötig wäre.
Sollten die US-Wähler erfahren, was genau das FBI untersucht?
Die fehlenden Informationen im Brief stehen ohnehin im Kontrast zu den anonymen FBI-Mitarbeitern, die nun unter der Hand diese Informationen an die Medien geben. Die fügen nach und nach Puzzleteile zusammen, die Demokraten und Republikaner wiederum in Echtzeit in ihre passenden Theorien zur Brisanz des Materials einflechten. Unklar bleibt unter dem Strich, was genau das FBI untersucht und wie lange das dauern wird.
Verschiedene Kongressabgeordnete, vor allem aus dem Lager der Demokraten, haben Comey bereits um ein Briefing gebeten. Eine Anhörung vor einem Ausschuss dürfte davon abhängen, ob die in beiden Kammern die Mehrheit haltenden Republikaner eher von den Spekulationen oder dem Stand der aktuellen Entwicklungen profitieren.
Die Öffentlichkeit erfährt vom FBI in der Regel keine Details zu laufenden Ermittlungen. Doch in diesem Falle geht es für die US-Bürger auch darum, ihre Wahlentscheidung bestmöglich informiert zu treffen, argumentieren die Liberalen. Es sei "geboten", dass die Behörde die Angelegenheit zügig erkläre, fordert deshalb auch die Kandidatin Hillary Clinton.
Comey zeigte sich bereits im Juli als durchaus politisch geübt und bereit, mit Traditionen zu brechen: Das Fazit der FBI-Ermittlungen zu den Clinton-Servern stellte er entgegen der Gepflogenheiten persönlich in einer längeren Rede vor. Dort begründete er sachlich, weshalb er keine Anklage empfehle, kritisierte Clinton aber auch als "extrem sorglos" in der Geheimhaltung. Damals begründete Comey dies mit der Verpflichtung, durch völlige Transparenz keine Zweifel an der Integrität des FBI und seiner Ermittlungen aufkommen zu lassen.
Egal, was er in den kommenden Tagen tun wird: Die Entscheidung des FBI-Chefs wird als politischer Entschluss interpretiert werden.
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