Ukraine:Russland kündigt kampflosen Abzug aus Cherson an

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Verteidigungsminister Sergej Schojgu verkündete den russischen Truppenabzug aus Cherson am Mittwoch. (Foto: Russian Defence Ministry/REUTERS)

Die strategisch wichtige Stadt am Westufer des Dnjepr soll wohl geräumt werden. Für Russland ist damit der Weg nach Westen verschlossen.

Von Tomas Avenarius und Stefan Kornelius, München

Im Ukraine-Krieg zeichnet sich eine möglicherweise kriegsentscheidende Wende ab. Verteidigungsminister Sergej Schojgu hatte am Mittwochnachmittag angeordnet, die russischen Truppen sollten sich aus der umkämpften südukrainischen Stadt Cherson zurückziehen. Mit dem Rückzug der Einheiten könnte sich die Lage auf dem Schlachtfeld entscheidend ändern.

Die südukrainische Stadt am Unterlauf des Dnjepr ist die einzige Regionalhauptstadt, die Russland in den acht Monaten des Krieges vollständig einnehmen und der russischen Verwaltung unterstellen konnte. Erst im September hatte Putin Cherson zusammen mit den ebenfalls nur in Teilen besetzten Regionen Donezk, Luhansk und Saporischschja nach einem Scheinreferendum offiziell annektiert. Der Rückzug der Truppen aus der Stadt wäre damit eine schwere politische Niederlage für den Kremlchef.

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Der Kommandeur der russischen Streitkräfte in der Ukraine, General Sergei Surovikin, kündigte den Rückzug aller Einheiten an und nannte die schwierige Versorgung der Soldaten als Grund. Bereits in den vergangenen Wochen waren alle Zivilisten aus der Stadt evakuiert worden, allerdings hatten die ukrainischen Kräfte mit erheblichem militärischen Widerstand im Falle einer Einnahme gerechnet. Ob die russischen Angaben stimmen, oder ob es sich um eine Finte handeln könnte, lässt sich unabhängig nicht verifizieren.

Cherson liegt strategisch bedeutsam nahe der Dnjepr-Mündung am Schwarzen Meer. Die Eroberung des westlichen Flussufers und die Besetzung der Stadt eröffnete Russland die Chance, weiter nach Westen und Richtung Odessa vorzustoßen. Ein Rückzug auf die östliche Flussseite würde als Eingeständnis einer strategischen Niederlage empfunden.

Westliche Geheimdienste und die ukrainische Armee hatten seit Tagen beobachtet, dass Russland zwar den Ort weitgehend evakuiert hatte, nicht aber die Soldaten abzog. Deswegen wurde spekuliert, ob es zu einem Häuserkampf kommen könnte, oder ob die ukrainischen Streitkräfte in eine Falle gelockt werden könnten. Entsprechend skeptisch waren die ersten ukrainischen Reaktionen auf die Ankündigung Russlands.

Vizechef der russischen Zivilverwaltung stirbt bei Unfall

Die Rückeroberung der Stadt Cherson besitzt für die Ukraine hohen symbolischen Wert. Fraglich ist nun, ob die Gegenoffensive auch am östlichen Flussufer fortgesetzt wird und wie weit ukrainische Truppen dabei vorstoßen können. Ziel wird die Besetzung weiter Teile der Oblast Saporischschja sein, die bis zum Asowschen Meer führt und über die Russland die Versorgung der Krim abwickelt. Nach ukrainischen Erkenntnissen wurde das Gebiet östlich von Cherson in den vergangenen Wochen stark befestigt und vermint.

Unterdessen wurde bekannt, dass der Vizechef der von Moskau eingesetzten Verwaltung im Cherson, Kirill Stremoussow, bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen sein soll. Stremoussow hatte den Abzug als einer der bekanntesten Vertreter der russischen Besatzungsverwaltung bis zuletzt praktisch ausgeschlossen. Spekuliert wird, ob es über den Rückzug aus Cherson zu Verwerfungen in der russischen Führung gekommen war.

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