Chefankläger von Ratko Mladic im Gespräch:Wie ein Belgier gegen den "Schlächter von Srebrenica" vorgehen will

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Chefankläger Serge Brammertz versucht von heute an, den ehemaligen Serbengeneral Ratko Mladic vor dem Jugoslawien-Tribunal für seine Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Im Gespräch mit der SZ erklärt Brammertz, warum er sich Sorgen um Mladic' Gesundheit macht, welche Probleme er mit dessen Heimatland Serbien hat und warum er fast die Hälfte der Anklagepunkte fallenließ.

Ronen Steinke

Wenn der "Schlächter von Srebrenica", der ehemalige General Ratko Mladic, am Mittwoch vor seine Richter tritt, dann ist Serge Brammertz sein Gegenspieler. Der Chefankläger am Jugoslawien-Tribunal der Vereinten Nationen tritt nach außen hin zwar gefälliger auf als seine scharfzüngige Vorgängerin Carla Del Ponte - er agiert aber kein bisschen weniger entschlossen als sie. Hinter seiner Tür hat Serge Brammertz ein altes Fahndungsplakat aufgeklebt, mit den Köpfen von Ratko Mladic und Goran Hadzic. Die beiden waren die letzten Verdächtigen vom Balkan, die sich noch verstecken konnten. Bis zum vergangenen Jahr, als es plötzlich sehr schnell ging. Auf dem Plakat hat jemand beide Köpfe mit Kugelschreiber durchgestrichen.

Serge Brammertz tritt nach außen hin zwar gefälliger auf als seine scharfzüngige Vorgängerin Carla Del Ponte - er agiert aber kein bisschen weniger entschlossen als sie gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ratko Mladic. (Foto: AFP)

SZ: Seit einem Jahr sitzt der mutmaßliche Kriegsverbrecher Ratko Mladic in Untersuchungshaft. Sein Prozess soll jetzt mindestens drei Jahre dauern. Woher kommt diese stoische Ruhe in Den Haag?

Serge Brammertz: Das ist keine Ruhe, sondern Zeit, die notwendig ist. Wir sprechen hier von einem sehr umfangreichen Gerichtsverfahren, mit Hunderttausenden von Aktenseiten. Die Verteidigung braucht Zeit, um sich einzulesen.

SZ: Der ehemalige serbische Präsident Slobodan Milosevic starb nach vier Jahren in Den Haag, ohne wegen einer einzigen Tat verurteilt worden zu sein. Auch Mladic ist gebrechlich. Die Geschichte könnte sich wiederholen.

Brammertz: Es ist sicher richtig, dass es um die Gesundheit von Mladic nicht zum Besten stand, als er im vergangenen Jahr ausgeliefert wurde. Seither geht es ihm aber deutlich besser. Das sagt der Beschuldigte jetzt selbst. Deshalb sind wir hoffnungsvoll.

SZ: Muss es denn überhaupt ein derart umfangreicher Prozess sein? Könnte sich die Anklage nicht auf weniger Vorwürfe beschränken, um schneller den Weg für eine Versöhnung freizumachen?

Brammertz: Das tun wir schon - sonst würde alles noch viel länger dauern. Wir haben im vergangenen Jahr 40 Prozent aller Anklagepunkte gegen Mladic fallen gelassen. Das sind Verbrechen, auf deren Verfolgung wir verzichten, und glauben Sie mir: Gegenüber den Familien der Opfer auf dem Balkan ist ein solcher Verzicht nicht leicht zu vermitteln. Das ist ein sehr schwieriger Balanceakt.

SZ: Von den zahlreichen Taten, die Sie Mladic vorwerfen, würde schon eine einzelne ausreichen für eine langjährige Haftstrafe.

Brammertz: Ja, aber das heißt noch nicht, dass wir alle anderen fallen lassen könnten. Wir müssen uns aus praktischen Gründen beschränken, das ist sicherlich das Frustrierendste an unserem Job. Aber wir müssen gleichzeitig darauf achten, dass die Anklage immer noch das Ausmaß der historischen Verbrechen reflektiert. Sonst würde sie ihrer Verantwortung nicht gerecht. Sicher, der Massenmord in Srebrenica allein ist schon schrecklich genug, um eine Maximalstrafe zu rechtfertigen, aber Srebrenica ist nur ein Teil der ethnischen Säuberungen in Bosnien über eine Periode von drei Jahren gewesen. Diese ganze Breite muss in einem Prozess zur Sprache kommen. Das verlangen die Opfer von uns zu Recht.

SZ: So ziehen sich die Prozesse hin. Der serbische Nationalist Vojislav Seselj sitzt seit ganzen neun Jahren in Den Haag in Untersuchungshaft - ein Zeitraum, der in keinem nationalen Justizsystem akzeptabel wäre.

Brammertz: Der Angeklagte hat natürlich auch nicht dazu beigetragen, das Verfahren zu beschleunigen, sondern sämtliche Mittel genutzt, um das Verfahren hinauszuzögern. Am Anfang gab es einen Hungerstreik, um durchzusetzen, dass er sich vor Gericht selbst vertreten darf. Danach hat er vertrauliche Informationen in Büchern veröffentlicht, was wieder neue Verfahren nach sich zog. Ich möchte sicher nicht dem Beschuldigten die Schuld dafür in die Schuhe schieben, dass er derart lange in Untersuchungshaft sitzen muss. Aber gerade sein Fall zeigt, wie schwierig die Arbeit der internationalen Justiz ist. Die Verfahren in Den Haag dauern lange und ich verstehe diejenigen, die sagen: zu lange. Aber man kann das eben nicht mit Verfahren auf nationaler Ebene vergleichen.

SZ: Nachdem nun alle Beschuldigten nach Den Haag ausgeliefert sind, ist ein Ende Ihrer Arbeit absehbar. Was wird mit den Archiven des Jugoslawien-Tribunals geschehen, wenn Sie alle Prozesse abschließen? Die Stadt Sarajewo hat ihr Interesse angemeldet.

Brammertz: Für uns ist sehr wichtig, dass weiterhin die Vertraulichkeit von sensiblen Informationen gewahrt wird. Die Gerichtsakten müssen geschützt bleiben, damit Opfer und Zeugen, die sich uns anvertraut haben, nicht plötzlich in Gefahr geraten. Die Entscheidung, wo eine solche Sicherheit gewährleistet ist, überlasse ich den Vereinten Nationen. Aber in Den Haag ist es sicherlich sicher.

SZ: In Serbien eher nicht?

Brammertz: Ich denke nicht, dass Serbien als Standort des Archivs zur Debatte steht.

SZ: Serbische Behörden haben den flüchtigen Ratko Mladic gedeckt, bis er im vergangenen Jahr ausgeliefert werden konnte. Wird das Konsequenzen haben?

Brammertz: Wir drängen die serbischen Behörden seit langem dazu, interne Ermittlungen durchzuführen. Da warten wir noch. Die Angaben, die wir bisher aus Belgrad bekommen haben, reichen sicher noch nicht aus.

SZ: Bräuchte es mehr politischen Druck?

Brammertz: Druck von außen ist sicherlich entscheidend gewesen, um überhaupt eine Auslieferung von Mladic zu erreichen. Der Fortschritt Serbiens auf dem Weg in die EU wurde immer abhängig gemacht von einer Kooperation mit dem Jugoslawien-Tribunal - dieser Hebel hat funktioniert. Mittlerweile hat Serbien zwar den lang ersehnten Status als EU-Kandidat erreicht. Aber der Weg zur EU-Mitgliedschaft ist noch lang. Auf diesem Weg bleiben viele Möglichkeiten, um notwendigen politischen Druck auszuüben.

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