Chefankläger gegen Ratko Mladic:Ein Kavalier, der aus der Stille zuschlägt

Serge Brammertz wirkt unscheinbar und weniger scharfzüngig als seine Vorgängerin Carla Del Ponte. Doch wenn der Chefankläger am Jugoslawien-Tribunal von Mittwoch an den ehemaligen Serbengeneral Ratko Mladic vor sich hat, wird er versuchen, den Prozess zügig voranzutreiben. Für Mladic schwindet die Hoffnung auf eine milde Strafe.

Ronen Steinke

So galant, wie der Belgier Serge Brammertz in sein Büro hineinbittet, in einem weichen belgischen Deutsch, könnte man ihn glatt für sanftmütig halten. Ein Irrtum, dem schon manche erlegen sind. Der Chefankläger am Jugoslawien-Tribunal der Vereinten Nationen agiert in diesem Amt kein bisschen weniger entschlossen als seine scharfzüngige Vorgängerin Carla Del Ponte.

Wenn an diesem Mittwoch in Den Haag der Prozess gegen den einstigen Serbengeneral Ratko Mladic beginnt, dann tritt dem General zwar ein eher unscheinbarer Jurist gegenüber. Allerdings versteht der es, aus der Stille heraus zuzuschlagen. Mladic, der Sarajewo belagern ließ, der Blauhelmsoldaten als Geiseln nahm und in Srebrenica das größte Massaker in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs anrichtete, dieser Mladic wird mit solch einem Gegner nicht gerechnet haben.

Brammertz, 51, hat geschafft, woran sich seine Vorgängerin mit dem flammenden Haar vergeblich versuchte. Er hat den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Mladic überhaupt zu fassen bekommen; er hat dessen verschworene Beschützer in Serbien nach 16 langen Jahren zum Aufgeben bewogen. Ihm gelang das ohne schrille öffentliche Drohungen gen Belgrad. Vielmehr nutzte er immer das Zuckerbrot EU-Beitritt, das er den Serben in Aussicht stellte.

Wenn Mladic sich nun erstmals vor Gericht verantworten muss, setzt Brammertz ganz auf Schnelligkeit statt auf Emotion: Die Zeugen sollen ihre Aussagen schriftlich einreichen, wo immer es das Recht erlaubt, "um Zeit zu sparen, die uns seit 16 Jahren davonläuft". Die Opfer, die lange darauf gewartet haben, endlich gegen ihren Peiniger aussagen zu können, werden es nicht gerne hören. Der Angeklagte Mladic, der sich mit jeder weiteren Verzögerung eine mildere Strafe erhoffen kann, aber auch nicht.

In seiner Heimat Belgien stieg Serge Brammertz schon mit 35 Jahren zum obersten Staatsanwalt des Landes auf. In der zwischen Flamen und Wallonen gespaltenen Politik gehört er der dritten Gruppierung an, der deutschsprachigen Minderheit. Brammertz holte in Brüssel seine europäischen Kollegen an einen Tisch, baute ihre Zusammenarbeit aus. Als die Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs im Jahr 2003 einen Europäer suchten, den sie dem exaltierten argentinischen Chefankläger Luis Moreno-Ocampo als Vertreter an die Seite stellen konnten, da fiel ihre Wahl auf ihn - den Umgänglichen. Auf einen, der motivieren kann.

Der UN-Sicherheitsrat beförderte Brammertz 2008 zum Jugoslawien-Chefankläger, als die Veto-Macht Russland nicht länger Del Ponte ertragen wollte. Brammertz stellte sich bei seiner Antritts-Tour durch das Tribunal jedem einzelnen Mitarbeiter per Handschlag vor.

Wenn das Anklageteam am Mittwoch sein Eröffnungsplädoyer gegen Ratko Mladic hält, gestützt durch Videos, die noch einmal den ganzen Albtraum des Bosnienkriegs heraufbeschwören sollen, dann wird der Chefankläger nicht im Gerichtssaal sein. Brammertz lässt einem Mitarbeiter den Vortritt, dem Amerikaner Dermot Groome. Er selbst will das Geschehen aus der Stille seines Büro verfolgen.

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