CDU-Streit:Konservativ - was ist das?

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Konservativ, das war mal der Markenkern der Union, noch unter Helmut Kohl. Heute weiß Angela Merkel: Damit lässt sich keine Wahl mehr gewinnen. Die konservativen Strömungen sind sich nicht mal einig, wofür sie eigentlich stehen.

Thorsten Denkler, Berlin

Es steht nicht gut um die sogenannten Konservativen, die Traditionalisten, die Zeitgeistverweigerer in der CDU von Angela Merkel. Das zeigt die Vorstandsklausur der Bundes-CDU. In der Berliner Erklärung, die hier verabschiedet werden soll, rangieren die konservativen Stammwähler nur noch auf dem vierten und letzten Rang der Wählergruppen, die für die CDU und CSU interessant sind.

Angela Merkel vor dem Portrait von Helmut Kohl: Wer sind eigentlich die Stammwähler der CDU? (Foto: Foto: ddp)

Ziemlich offen droht CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, die CDU wolle bei den Stammwählern für die "Weiterentwicklung unserer Politik" werben. Nur dann gebe es die Chance, "neue Pfade auch gemeinsam zu gehen".

Das heißt übersetzt: Wenn die nicht mitgehen, dann bleiben sie eben zurück. Die vier CDU-Landespolitiker, die vergangene Woche in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein schärferes (konservativeres) Profil der CDU gefordert haben, um Stammwähler zu halten, dürfen dies ruhig als offene Missachtung werten.

Nur, wer sind die eigentlich, diese Stammwähler? Konservative sollen es sein. Aber das heißt nicht viel. In der Union versammeln sie viele konservative Strömungen: Wertkonservative, Wirtschaftliberale, Erzkatholiken, Heimatvertriebene.

1. Nicht konservativ, aber christlich-demokratisch

Und erstaunlich viele, die diesen Strömungen zugerechnet werden, sehen sich gar nicht als Konservative. Volker Kauder etwa, Fraktionschef von CDU und CSU im Bundestag. Er gilt als konservativer Haudegen. Von sich würde er das nicht behaupten. "Die CDU ist keine konservative Partei", hat er wenige Monate vor der Bundestagswahl mal gesagt. Sie vereinige gewisse konservative Strömungen, so wie sie auch liberale und soziale Wurzeln habe, gewiss. Aber im Grunde sei sie christlich-demokratisch. So wie er.

Was auch nicht ganz stimmt. Die Wurzeln der CDU sind christlich-demokratisch, christlich-sozial, liberal und konservativ. Der Konservatismus ist also nur eine von vielen Strömungen in der Partei. Dazu eine in sich breit differenzierte, die immer mehr an Bedeutung verliert.

Selbst Friedrich Merz, Erfinder der "deutschen Leitkultur" und in einigen konservativen Zirkeln der CDU ungefragt zu ihrem Fürsprecher aufs Schild gehoben, würde sich dieses Etikett nicht anheften lassen. "Konservatismus" ist in der CDU inzwischen einerseits mit einer Art Fluch belegt. Anderseits scheint er Sammelbegriff zu sein für sämtliche Sehnsüchte in der Partei nach der guten alten Zeit.

2. Die modernen sehr Bürgerlichen

Eine besonders ausgeprägte Lobby haben die Konservativen jedenfalls nicht. Vor einiger Zeit verfassten Stefan Mappus, CDU-Fraktionschef im Landtag von Baden-Württemberg, Philipp Mißfelder, Vorsitzender der Jungen Union, Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) und der nordrhein-westfälische CDU-Generalsekretär Hendrik Wüst ein Papier mit dem Titel "Moderner bürgerlicher Konservatismus". Darin fordern sie eine "unverwechselbare Handschrift" für ihre Partei. Die Union müsse "für heimatverbundene Patrioten, überzeugte Christen und wertbewusste Konservative die politische Heimat bleiben".

Es gab danach kurz Ärger mit der Parteiführung. Weitere Folgen: keine. Merkel hielt unbeirrt an ihrem Kurs der Modernisierung fest. Mappus fordert weiter Profil. Söder auch.

3. Die katholische Tradition

Ende 2009 gründete sich der Arbeitskreis Engagierter Katholiken in CDU und CSU (AEK). Eine illustre Versammlung parteiinterner Theoretiker, die sich erzkatholischen Werten verpflichtet fühlen. Norbert Geis etwas gehört dazu, ein CSU-Mann, der immer für einen skandalösen Satz gut ist, wenn es um die Verteidigung der Ehe von Mann und Frau und gegen Homosexuelle geht. Der Journalist und AEK-Sprecher Martin Lohmann aus Köln gilt als Kreuzritter von Papst Benedikt XVI.

Im AEK destilliert sich die katholisch-konservative Strömung in CDU und CSU. Die Themen sind klar gesetzt: gegen Abtreibung, für Lebensschutz von der Zeugung bis zur Geburt, gegen Homoehe. Und wenn die Frau anders nicht an den Herd zurückzubekommen ist, dann muss das Betreuungsgeld her, mit dem sie belohnt wird, wenn sie ihre Kinder statt in den Kindergarten zu schicken zu Hause erzieht.

Der Kölner Kardinal Meißner hat dem AEK bereits seinen Segen gegeben. Der CDU-Bundesvorstand will davon nichts wissen. Angela Merkel hat kein Interesse daran, dem AEK einen ähnlichen Status zu verleihen, wie dem seit den fünfziger Jahren existierenden und moderat argumentierenden Evangelischen Arbeitskreis - dem EAK - in CDU und CSU. Der Grund: Mit AEK-Positionen lassen sich keine Wahlen gewinnen, wohl aber verlieren.

Wahlforscher wissen: Die Gruppe der Erzkonservativen schrumpft. Zu finden waren sie vor allem auf dem katholisch oder evangelisch-pietistisch geprägten Land. Es leben aber immer mehr Menschen in Städten. Und selbst auf dem Land hat vielerorts inzwischen die Moderne Einzug gehalten. Der klassische Konservatismus, er ist abgehängt.

So sind die Erzkonservativen schlicht nicht mehr wahlentscheidend für die CDU, eher noch für die CSU. Doch selbst in Bayern kann gestrige Politik keine Menschen mehr mobilisieren. Das Eintreten für das Betreuungsgeld hat die einstige Staatspartei CSU jedenfalls nicht davor bewahrt, in Umfragen in längst vergessene Tiefen abzurutschen.

Lesen Sie auf der zweiten Seite über die vierte und fünfte Strömung.

4. Die ans Geld denken

Ganz andere Konservative sind die Wirtschaftsliberalen. Das sind jene, die bei der Bundestagswahl in Scharen zur FDP übergelaufen sind. Mehr als eine Million Wählerstimmen haben CDU und CSU an die FDP verloren. Eine weitere Million an die Nichtwähler. Im Ergebnis hatten CDU und CSU zusammen 33,8 Prozent erreicht, das schlechteste Bundestagswahlergebnis überhaupt.

Ihnen geht es weniger um Werte, als um den eigenen Geldbeutel. Sie haben nichts gegen die Homoehe, solange der Staat nur da regelt, wo es dringend nötig ist. Die Straßenverkehrsordnung etwa. Diese Gruppe ist das größte Problem der CDU, weil sie hier die meisten Wähler verloren hat. Weshalb sie sich auch so schwertut, den Steuersenkungsphantasien der FDP etwas entgegenzusetzen.

5. Angela Merkel wartet nicht

Nicht mal die Vertriebenen können sich mehr auf ihre CDU verlassen. Ihnen strammen Schrittes entgegenzukommen, etwa in der Frage Erika Steinbach, bedeutet Stimmverlust in aufgeklärten Bevölkerungsschichten. Das aber will Merkel vermeiden. Sie will Stammwähler halten. Vor allem aber will sie neue hinzugewinnen. Das aber geht offenbar mit vielen konservativen Positionen nicht. Sie sind nicht mehr gesellschaftsfähig.

Die Konservativen sind ja selbst kaum in der Lage, überzeugende Antworten zu geben auf die Frage, was modernen Konservatismus in Zukunft ausmachen soll. Das zeigt auch das jüngste Beispiel von Stefan Mappus, kommender Ministerpräsident von Baden-Württemberg, und Bayerns CSU-Fraktionschef Georg Schmid. Sie wollten pünktlich zur Fraktionsklausur ein eigenes Konservatismus-Papier mit dem Titel "Deutschlands starker Süden" auf den Markt werfen. Laut Tageszeitung Welt geriet dieser Versuch aber "mit Plattitüden zur gemeinsamen Wirtschaftsleistung und gemeinsamen Interessen so banal, dass die beiden Politiker es lieber ganz einstampfen".

Es geht der CDU da ähnlich wie den Grünen. Deren Wähler der neunziger Jahre sind nicht mehr die von 2009. Dafür haben die Grünen 2009 ihr bestes Bundestagsergebnis eingefahren. Das Erfolgsgeheimnis: ständige Selbsterneuerung. Eine Erkenntnis, die sich in den konservativen Teilen der CDU wohl erst noch durchsetzen muss.

Eines ist dabei sicher: Merkel, die Unideologische, wird nicht auf sie warten. Sie ist Pragmatikerin.

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