CDU in Ostdeutschland:Ein Mann fürs Praktische

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Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) lehnt eine Taurus-Lieferung vehement ab. (Foto: Maja Hitij/Getty Images)

Wie Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer versucht, seiner Partei zu erklären, dass die Kontaktsperre zur AfD an der Realität im Osten vorbeigeht.

Von Ulrike Nimz

Von all den politischen Analysen und Interpretationen, die in den vergangenen Tagen auf das Sommerinterview mit Friedrich Merz folgten, war vor allem eine mehrheitsfähig: Die Aussage des CDU-Parteichefs, man müsse in Kommunalparlamenten trotz jüngster AfD-Erfolge und trotz des Kooperationsverbotes Wege finden, um politisch zu gestalten, sei ein Freibrief für die gebeutelten ostdeutschen Landesverbände. Ein Testballon vor den Landtags- und Kommunalwahlen im kommenden Jahr, bei denen die AfD mal wieder droht, stärkste Kraft zu werden.

Dahinter steht die mindestens gewagte Annahme, dass sich die Christdemokraten zwischen Anklam und Zittau, all die Land- und Stadt- und Ortschaftsräte, von irgendetwas beeindrucken lassen, was da in der Sommerpause aus Berlin oder eben dem Sauerland kommt. Und natürlich wartete alles mit Spannung auf eine Einlassung jenes CDU-Ministerpräsidenten, dessen politisches Schicksal enger mit der AfD verknüpft ist, als es ihm lieb sein kann.

"Wir müssen alles dafür tun, dass diese Leute niemals an die Macht kommen."

Nun hat Michael Kretschmer der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein ausführliches Interview gegeben. Darin wirbt Sachsens Regierungschef für einen "pragmatischen Umgang" mit der Partei, vor der er eindringlich warnt: "Wir müssen alles dafür tun, dass diese Leute niemals an die Macht kommen." Bei Sachentscheidungen in Städten und Gemeinden jedoch sei eine "lupenreine Trennung" nicht durchzuhalten. Vielmehr müsse man der AfD "durch kluge Politik den Nährboden entziehen". Vielen Wählern sei der wahre Kern der AfD nicht bewusst, glaubt Kretschmer: "Die Frau oder der Mann, die dort für die AfD sitzen, mögen sie noch so angesehene Handwerker oder bekannt in einem Ort sein, sind Mitglieder einer Partei, die mit diesem Land Schlimmes vorhat." Darauf müsse man die Menschen immer wieder hinweisen.

Das Interview ist insofern ein wertvoller Beitrag zur Debatte, als dass Michael Kretschmer die politischen Zwänge eines Bundeslandes, in dem die AfD zwar noch keinen Bürgermeister, aber in einigen Kommunalparlamenten die größte Fraktion stellt, zumindest einmal kennt. Er weiß, dass es die viel zitierte "Brandmauer" im Osten nie gegeben hat, davon zeugen etliche Beispiele der Kooperation, nicht nur zwischen AfD und CDU.

Kretschmer, Anfang 2022 ins Stellvertreterteam um Merz gewählt, scheint ähnlich wie der Parteichef davon auszugehen, dass "Macht" erst auf Landes- oder Bundesebene beginnt, in Regierungsverantwortung, und nicht schon bei der Vergabe von Geldern für den örtlichen Jugendklub etwa. Dass auch Verhindern Macht bedeutet, zeigt der Blick ins Nachbarbundesland Thüringen, wo Linke und AfD zusammen mehr als die Hälfte der Landtagssitze besetzen, die rot-rot-grüne Regierung keine Mehrheit hat und wenig darauf hindeutet, dass sich das bei der nächsten Wahl ändert. Dem Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU kommt die Realität dazwischen.

Sein Gefühl für Stimmungen brachte Kretschmer 2019 den Wahlsieg

Der Einschätzung Kretschmers, die Wählerinnen und Wähler wüssten gar nicht so genau, wem sie da ihre Stimme geben, widersprechen Experten und Studien, die AfD-Anhängern rassistische und autoritäre Überzeugungen attestieren. Teilen der Union fehlt es an Wissen und am Willen, sich vorzustellen, dass auch Menschen in bunten Funktionsjacken ein rechtsextremes Weltbild haben können, dass die AfD wegen ihrer Inhalte gewählt wird und nicht allein aus Protest. Man kann es Hoffnung nennen oder Kalkül: Nicht nur unter ostdeutschen CDU-Mitgliedern herrscht noch immer die Annahme, dass AfD-Wähler nur verirrte, vernachlässigte Christdemokraten sind, die man umstimmen und zurückholen kann, wenn man nur deren Sprache spricht, genug zuhört, den Kurs korrigiert.

Zu Beginn seiner Amtszeit wollte Michael Kretschmer seine Bürger noch überzeugen, dass Sachsen "ein Land voller stolzer und fröhlicher Menschen" sei. Als Nachfolger des an der AfD gescheiterten Stanislaw Tillich (CDU) probierte er es mit einer Art Harry-Potter-Strategie: die dunkle Bedrohung nicht beim Namen nennen, stattdessen für eigene Inhalte werben, für Beteiligung, mehr Optimismus. Sein Gefühl für Stimmungen und Verstimmungen brachte ihm im Sommer 2019 den Wahlsieg.

Nach drei Jahren Corona-Pandemie, nach Kriegsausbruch und sinkenden Umfragewerten, ist Kretschmers Ton ein anderer: In den vergangenen Monaten hat er eine Ausweitung der sicheren Herkunftsländer gefordert, eine Kürzung der Leistungen für Asylsuchende, mehr Personal für die Grenzschutzorganisation Frontex. Es macht sich offenbar leichter Wahlkampf mit der Wut als gegen sie. Ob das auch "kluge Politik" ist, wie Kretschmer sie anmahnt, wird der 1. September 2024 zeigen. Dann wird in Sachsen ein neuer Landtag gewählt.

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