CDU-Debatte um den Mindestlohn:Merkel bremst, was nicht gebremst werden darf

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Angst vor der eigenen Courage? CDU-Chefin Merkel will die Debatte über den Mindestlohn eindämmen, auch wenn sie damit ihrer Partei schadet. Die CDU könnte auf ihrem Parteitag den Beweis liefern, dass sie noch eine Volkspartei ist - und ihre Vorsitzende in diesem wichtigen Punkt überstimmen.

Stefan Braun

Was hat sich Angela Merkel schon über die Klischees geärgert, die sich mit ihr und ihrer CDU verbinden. Blutleer sei die Partei geworden, keine Themen gäbe es mehr und keine Debatten. Ein Kanzlerinnen-Wahlverein sei die einst stolze Volkspartei inzwischen. Und die Frau an der Spitze? Die sei vorsichtig, zögerlich, leidenschaftslos, und das habe die eigene Partei langsam, aber sicher eingeschläfert.

Wie das bei Klischees oft ist, waren die Übertreibungen falsch. In der Tendenz aber stimmte das meiste. Umso interessanter sollte der bevorstehende Parteitag der Christdemokraten werden. Europa in der Krise, Bildung vielleicht ohne Hauptschule, dazu ein flächendeckender Mindestlohn - erstmals seit vielen Jahren machte sich die CDU auf, einen interessanten Parteitag zu organisieren.

Wenn da nicht Angela Merkel wäre. Ausgerechnet die CDU-Vorsitzende ist es, die nun heftig auf die Bremse getreten ist, und zwar bei dem Thema, das nicht von oben kommt, sondern aus der Partei selbst gewachsen ist: Dem Bestreben, mit einem flächendeckenden Mindestlohn auf die prekäre Lage vieler Menschen mit geringbezahlten Jobs zu reagieren. Unübersehbar wurde das Bedürfnis danach auf den CDU-Regionalkonferenzen in diesem Sommer.

Immer mehr Redner beklagten die dramatisch veränderten Bedingungen in der Arbeitswelt und forderten von ihrer Partei eine Antwort. Nur deshalb haben die Sozialausschüsse einen Antrag auf einen flächendeckenden Mindestlohn entworfen, und nur deshalb konnten sie das meiste davon bis in den Leitantrag retten. Dass Merkel die Kernpunkte der CDA-Pläne kurz vor dem Parteitag plötzlich ablehnt, verdichtet sich zur Botschaft: Lasst es bleiben!

Damit macht die CDU-Vorsitzende exakt das, was man ihr oft vorgeworfen hat: Sie bremst, was nicht gebremst werden müsste. Sie fürchtet die Kritik der Wirtschaftspolitiker. Sie hat Angst vor einem Parteitag, der streitet. Sie versucht alles, um den Konflikt auszutarieren. Also bemüht sie sich, in dem Augenblick einer Seite die Spitze zu nehmen, in dem die Partei drauf und dran ist, sich in einer sozialpolitisch brennenden Frage vielleicht eine neue Antwort zu geben. Deutlicher hätte sie nicht zeigen können, dass sie Angst vor der eigenen Courage hat.

Man kann verstehen, dass sich Parteiführungen angenehme Parteitage wünschen. Und man kann das bei der CDU erst recht verstehen, wenn man berücksichtigt, wie sehr die Euro-Krise die Kraft der Kanzlerin bindet. Trotzdem wäre zu wünschen, dass sich die Sozialausschüsse nicht bremsen lassen. Dann nämlich könnte in Leipzig der Fall eintreten, dass Merkel zwar kein normales Mitglied wird, aber sich wie eines fühlen dürfte. Ein Mitglied, das beim Mindestlohn überstimmt wird.

Für eine Vorsitzende ist das unangenehm, aber ertragbar. Für die CDU wäre es ein wichtiger Beleg dafür, dass sie doch noch eine Volkspartei ist. Eine Partei, in der die Basis ein zentrales Anliegen der Bevölkerung auch gegen die Führung durchsetzt.

© SZ vom 11.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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