Einsatz bei Seenot:Wie die deutsche Marine vor Libyen Flüchtlinge rettet

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Warme Decken für die Geretteten: Eine Marinesoldatin mit Flüchtlingen auf der Schleswig-Holstein. (Foto: Gioia Forster/dpa)

8000 Menschen haben deutsche Soldaten schon aus dem Meer gezogen, nun kämpfen sie auch gegen Schleuser. Und werden daheim beschimpft.

Von Joachim Käppner, Catania

An einem Schornstein der Fregatte sind mit schwarzer Farbe die Erfolge ihrer Einsätze aufgemalt. Das Datum, die Zahlen. Doch es geht nicht um Krieg und nicht um Waffen, die den Tod bringen. Der Erfolg misst sich an geretteten Menschenleben. Bis Ende Oktober hat allein die deutsche Marine mehr als 8000 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet, und sehr viele davon, mehr als 4000, nahm die Fregatte Schleswig-Holstein auf, die inzwischen wieder daheim in Wilhelmshaven liegt.

Eines der Bilder auf dem Schiffsstahl zeigt ein Baby mit Klapperstorch. Das Mädchen kam zur Welt auf dem Flugdeck des Schiffs, ihre hochschwangere Mutter, eine Frau aus Somalia, war in einem von Menschen überfüllten Schlauchboot von der libyschen Küste herübergekommen. Das Boot hätte nicht mehr lange durchgehalten, als die Schleswig-Holstein auftauchte; ihre Marinesoldaten brachten die Insassen per Speedboot zur Fregatte.

Der Schiffsarzt Martin N. erinnert sich: "Der Tag war sehr heiß, das waren pralle 45 Grad in der Sonne." Die Frau war erschöpft, dehydriert, gegen 18 Uhr setzten die Wehen ein. "Es wurde eine lange Nacht", sagt N., "und es gab, wie das Baby dann kam, eine Schrecksekunde: Es hat zuerst nicht geschrien." Das Mädchen hatte etwas im Hals, die Helfer befreiten es schnell davon, der erste Schrei klang durch das Schiff. Das Kind wurde Sophia getauft.

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Wenn nun die graue Kriegsmacht Europas vor Libyen kreuzt, ist sie Namensgeberin für die "Mission Sophia". Der wohlklingende Name des Mädchens symbolisiert die Rettungsfahrten der Kriegsschiffe seit Beginn der Mission Eunavfor Med. Diese unterscheidet sich vom geplanten Einsatz vor Syrien grundlegend. Dort soll eine deutsche Fregatte zum Begleitschutz des Flugzeugträgers Charles de Gaulle stoßen, von dem aus die Franzosen Angriffe gegen den IS in Syrien und im Irak fliegen.

Aber auch bei Eunavfor Med geht es seit einer Auftragserweiterung am 7. Oktober nicht mehr nur um Rettung, sondern auch darum, so die EU, " das Geschäftsmodell der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetze im Mittelmeer zu unterbinden und zu verhindern, dass noch mehr Menschen auf See umkommen". Die Soldaten sollen Schleuser bekämpfen. Jetzt, im Spätherbst, ist die Situation auf dem Mittelmeer zwischen Nordafrika und Italien etwas ruhiger; die meisten Flüchtlinge wählen lieber die kurze Überfahrt von der Türkei auf die griechischen Inseln.

Vor der libyschen Küste sind die Wellen oft mehrere Meter hoch, und die Aufklärungsflugzeuge der EU stellen dann keine Boote fest. Die Holzbarken und billigen Schlauchboote, in denen die Schleuser Flüchtlinge Richtung Festung Europa losschicken, würden kentern. Aber erst vergangene Woche holten die deutsche Berlin und ein Schiff der Royal Navy 165 Menschen aus seeuntauglichen Schlauchbooten. Und diesmal war es, wie ein Teilnehmer erzählt, großes Glück, denn es war tiefe Nacht und eine riskante Rettungsoperation.

Die Schleswig-Holstein, die inzwischen abgelöst wurde, operierte vom alten Hafen von Catania aus, der Barockstadt zu Füßen des Ätna mit ihren Kuppeln, Kirchen und Palästen. Für etliche Flüchtlinge ist sie der Ort, an dem sie erstmals den Boden Europas betreten, das Sehnsuchtsziel.

Die Fregatte, die sie herbrachte, ist mehr als 5000 Tonnen schwer und mit gut 250 Männern und Frauen Besatzung eine schwimmende Festung, ein Koloss aus einer anderen Zeit. Und aus der stammt sie ja auch. Schiffe dieses Typs wurden in den Achtzigerjahren konzipiert, um im Fall eines sowjetischen Angriffs in Mitteleuropa den Seeweg von Amerika frei zu halten; speziell die Jagd auf U-Boote gehörte zu ihren Aufgaben. Ein großer Teil ihrer Waffen bleibt zurück, wenn es auf die EU-Mission geht.

In den Helikopterhangars entstand die medizinische Notaufnahme, in der Sophia zur Welt kam. In den Torpedokammern war zusätzliches Personal untergebracht, die Exocet-Raketen wurden abgebaut, damit es auf Deck mehr Platz für Flüchtlinge gibt.

Der Einsatz gegen die Schleuser wirft allerdings Fragen auf. Theoretisch darf die Marine die Besatzung eines Schiffes, das unerlaubt Flüchtlinge nach Europa transportiert, in Gewahrsam nehmen und befragen und das Schiff beschlagnahmen. Ende Oktober teilte die Einsatzleitung an Bord des italienischen Helikopterträgers Cavour mit, Kriegsschiffe hätten ein solches Boot gestoppt, das offenbar in "Menschenschmuggel" verwickelt war und Flüchtlinge befördert hatte.

Das Meer vor Libyen ist voller Fischerboote und Schiffe aller Art

Aber derlei Aufgriffe sind selten. Als Vorbild dient zwar die Mission "Atalanta", der recht erfolgreiche Einsatz zur Sicherung der Handelsroute vor Somalia, doch unterscheiden sich die Szenarien drastisch. "Vor Somalia war das eindeutig", sagt Fregattenkapitän Alexander Gottschalk, Sprecher des deutschen Kontingents, "wenn ein Schnellboot mit sechs Männern, die Kalaschnikows und RPG-Raketenwerfer tragen, auf ein Handelsschiff zurast, wussten wir, was Sache ist." Piraten nämlich, und das Militär durfte eingreifen, wie es das Seerecht und das internationale Mandat vorsahen.

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Wie aber erkennt man ein Schleuserschiff? Das Seegebiet vor Libyen ist voller Fischerboote und kleiner Schiffe aller Art. Und die Schleuser an der Küste arbeiten inzwischen ganz anders. Sie setzen möglichst viele Flüchtlinge in billige Holzkähne oder riesige Schlauchboote, in Gefährte also, die nicht seetüchtig sind und niemals in Sizilien ankommen würden.

Mit einem Außenborder tuckern die Nussschalen in internationale Gewässer, wo ein Flüchtling per Satellitentelefon einen Seenotruf absetzt, dann wartet man auf die Retter. Ob diese nun Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen angehören oder den EU-Streitkräften: "Jedes Schiff ist verpflichtet, Menschen in Seenot sofort zu helfen", sagt die Rechtsberaterin des deutschen Kapitäns: "Wie sie in diese Lage geraten sind, ob Menschenschmuggler sie bewusst herbeigeführt haben, spielt gar keine Rolle."

Schritt drei des EU-Szenarios sieht vor, dass die europäischen Kriegsschiffe gegebenenfalls in libysche Hoheitsgewässer einlaufen und Schleuserstützpunkte sogar an Land angreifen dürften. Das aber wäre selbst für eine Fregatte ein erhebliches Risiko. Libyen ist ein failed state und seine Küste vielerorts ein rechtsfreier Raum wie vor 200 Jahren, als hier die Barbaresken, muslimische Piraten, von den Segelschiffen der Europäer gejagt wurden.

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Es gibt kriminelle Banden, Dschihadistenmilizen, Regierung, Gegenregierung und nicht zuletzt eine wachsende Zahl von IS-Kämpfern. Niemand weiß, ob ein Schiff, dessen Kapitän sich als Offizier der libyschen Küstenwache ausgibt, tatsächlich zu dieser gehört. Solche Begegnungen hatte die Schleswig-Holstein bereits. Ein Kriegsschiff ist auch von Land aus verwundbar, durch Raketen aus den Arsenalen des gestürzten Despoten Gaddafi. Ein Offizier sagt: "Das schlimmste Szenario wäre ein Angriff auf uns, wenn das Schiff voller geborgener Flüchtlinge wäre." Nicht einmal die Helikopter zur Aufklärung hätten sie dann dabei.

Etliche Schleuser sind Kriminelle; es wurden schon Flüchtlinge ermordet und vergewaltigt, wenn sie an die Falschen gerieten. Im Grunde aber ist die Schleusung ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Schleuser bieten an, was Migranten suchen - einen Weg ins sichere Europa, fort von Krieg, Elend und Chaos. Selbst wenn die europäischen Marinen noch so "robust" vorgehen: Solange Menschen Grund zur Flucht haben, wird es auch Schleuser geben.

Ein Mann hebt den Daumen: Navy good!

Ahmed N., Mitte 30, stammt aus Pakistan. Er sei Lehrer, geflohen vor der Gewalt der Taliban in den nördlichen Stammesgebieten. Über Libyen und das Meer kam er nach Catania. Er verkauft leuchtende Flummis und anderen Tand in der Altstadt von Catania, es gibt viele seinesgleichen, zu viele, das Geschäft geht nicht gut. Auch nicht für die vielen Rosenverkäufer, die jeden Tisch ansteuern, an dem eine Dame sitzt. "Aber es ist besser als daheim", sagt Ahmed, "ein Anfang, mehr nicht." Dann hebt er den Daumen: "Navy good!"

Das sehen nicht alle so. Ein TV-Magazin zeigte Szenen, in denen Soldaten des Schiffs mit Bordwaffen auf Übungsziele im Meer feuern. Tenor des Kommentars: Da spielen sie Krieg, und anderswo sterben die Leute. Tatsächlich aber muss die Besatzung eines Kriegsschiffs zu Beginn jeder Mission die Funktionsfähigkeit der Waffen überprüfen. Kapitän Marc Metzger fragt sich, was die Kritiker sagen würden, wenn sein Schiff angegriffen würde und nicht einsatzbereit wäre. Nach Monaten auf See kam so eine Sendung gar nicht gut bei der Besatzung an; sie empfand sie als Rufmord an den Rettern.

Schlecht zu sprechen sind viele auch auf die Pegida-Demonstranten: "Als ob es denen wegen der Flüchtlinge schlechter gehen würde", sagt einer. Manche haben von Kameraden anderer Schiffe gehört, die Flüchtlinge bargen und dann daheim von Ausländerfeinden beschimpft wurden. Ein junger Soldat, tätowiert, breite Schultern, sagt: Eigentlich tue die Marine das, was die Schleuser wollen; sie besorge den Weitertransport der Flüchtlinge nach Europa. Er zuckt die Schultern: "Und wenn schon? Wenn man die Not dieser Menschen sieht, weiß man, warum wir dort waren."

© SZ vom 02.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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