Verteidigung:Bericht offenbart eklatante Schwächen der Bundeswehr

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Die deutsche Marine hat gerade die kleinste Flotte ihrer Geschichte: die Korvette "Magdeburg", Schwesterschiff der für den Unifil-Einsatz vorgesehenen "Oldenburg". (Foto: Norbert Fellechner/Imago)

Das Verteidigungsministerium bestätigt in einer vertraulichen Analyse die mangelnde Einsatzbereitschaft der Truppe. Ihre internationalen Pflichten könne sie derzeit schwerlich erfüllen.

Von Mike Szymanski, Berlin

Ein nach neuem System erstellter Bericht zur Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zeigt eklatante Schwächen auf. Demnach hat Deutschland größte Mühe, seinen internationalen Verpflichtungen etwa für die Nato voll und ganz nachzukommen. Es fehlt unter anderem an Schiffen, an Artilleriegeschützen, Flugabwehrsystemen und moderner Funktechnik. Deshalb sei die Einsatzbereitschaft lediglich "mit Einschränkungen" gegeben.

Die Truppenteile müssten künftig in ihrer Grundaufstellung wieder einsatzbereit sein, wird in dem vertraulichen Bericht des Verteidigungsministeriums gefordert. Das bedeutet, dass sie Ausrüstung und Material nicht erst erhalten, kurz bevor sie in den Einsatz gehen. Die Einsatzbereitschaft müsse wieder "für die gesamten Streitkräfte" hergestellt werden, heißt es weiter in dem Dokument, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Material, Personal und Ausbildungsstand: Die Lage ist schlecht

Das Verteidigungsministerium konzentriert sich in seiner Analyse auf die Frage, inwieweit die Bundeswehr mit Material, Personal und Ausbildungsstand der Soldaten imstande ist, ihren konkreten Aufträgen nachzukommen. Frühere Berichte hatten nur das Material im Blick und versuchten, den jeweiligen Anteil einsatzbereiten Geräts in Prozentzahlen darzustellen - die tatsächliche Lage gab das kaum wieder. In einem Fall etwa hatten Hunderte neu angeschaffte Laster bei einer bestimmten Gruppe an Waffensystemen zu einer hohen Einstufung der Einsatzbereitschaft geführt, obwohl das keineswegs auf jenes Gerät zutraf, das für den Kampf gebraucht wird.

Der neue Bericht zeigt nun besonders deutlich, welche Folgen die schlechte Materiallage hat. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hat Deutschland zusätzliche Soldaten an die Nato-Ostflanke geschickt und die deutschen Kräfte in Litauen aufgestockt. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte den Litauern eine deutsche Kampfbrigade mit etwa 3000 Soldatinnen und Soldaten in Aussicht gestellt. Aber diese wird vorerst ohne eigene Artilleriekräfte auskommen müssen, wie aus dem Bericht hervorgeht: Deutschland hat beispielsweise bereits 14 seiner Panzerhaubitzen an die Ukraine abgegeben. Bislang ist für die Bundeswehr kein Ersatz in Sicht. Auch früher war es schon so, dass Deutschland Artilleriekräfte aus Mangel an Geschützen nur zeitweise nach Litauen schicken konnte.

Der Bericht zeigt nun auf, dass die Bundeswehr in Litauen auf "Kräftebeiträge" internationaler Partner angewiesen ist. Auch bei der Flugabwehr in Litauen muss Deutschland passen, die Systeme würden an anderer Stelle gebraucht. Zudem müssen die in diesem Jahr in der Slowakei aufgestellten Patriot-Flugabwehrraketensysteme schon Ende 2023 wieder nach Deutschland zurückgeholt werden, um von der Industrie modernisiert zu werden. Die Bundeswehr sucht nach einer Ersatzlösung.

Bis voraussichtlich März kann die Marine kein Schiff in den "Unifil"-Einsatz der Vereinten Nationen vor der Küste Libanons entsenden. Die dafür vorgesehene Korvette Oldenburg ist ausgefallen. Fraglich ist zudem, ob Deutschland von September 2023 an ein Schiff für die EU-Mittelmeermission "Irini" bereitstellen kann. Und weil Schlepper vorzeitig ausgemustert werden mussten, sieht sich die Marine laut Bericht bis Frühjahr kaum mehr imstande, die Sicherheit auf See sicherzustellen. Veraltete Radaranlagen, Funkgeräte und Software machten auch der Luftwaffe von 2023 an zu schaffen, den deutschen Luftraum zu sichern.

Lambrecht: Das Lückenschließen braucht Zeit

In einem Begleitschreiben zum Bericht, der am Montag ans Parlament ging, macht Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) Hoffnung, dass sich die Lage der Bundeswehr durch das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro bessern werde. Es biete eine "einmalige historische Chance", die man nutzen werde. Aber das Lückenschließen brauche Zeit.

An diesem Mittwoch befassen sich Verteidigungs- und Haushaltspolitiker mit den ersten großen Beschaffungsvorhaben. Mit ihrem Beschluss könnten dann für etwa zehn Milliarden Euro 35 neue F-35-Kampfjets in den USA bestellt werden. Sie sollen die alten Tornados ersetzen, mit denen Deutschland seinen Beitrag zum Nato-Konzept der atomaren Abschreckung leistet. Im Ernstfall können die Flugzeuge US-Atombomben ins Ziel tragen. Der FDP-Politiker Karsten Klein sagte am Dienstag: "Wir ermöglichen mit dem Einsatz von zehn Milliarden Euro das größte Projekt des Sondervermögens noch in 2022."

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Weitere Milliarden sollen in moderne Funkgeräte fließen und in die Umrüstung des Schützenpanzers Puma auf einen neueren Konstruktionsstand. Laut Beschaffungsvorlage wird der Panzer dadurch erst "einsatztauglich". Nach Jahren des Streits mit der Industrie bekommt die Truppe auch Ersatz für das Sturmgewehr G36, an dessen Zuverlässigkeit zwischenzeitlich Zweifel aufgetaucht waren.

Der SPD-Haushaltspolitiker Andreas Schwarz sagte, man sehe, dass eine neue Dynamik bei der Ausrüstung der Bundeswehr eingesetzt habe. Bis 2025 sollen alle Soldaten voll ausgestattet werden mit persönlicher Ausrüstung, dazu zählen auch Helme und Schutzwesten.

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