Vor ein paar Tagen hat Miriam Meßling ihre Ernennungsurkunde vom Bundespräsidenten bekommen, sie ist nun Verfassungsrichterin und hat zwölf Karlsruher Jahre vor sich. Eine vorzügliche Wahl, so hört man von ihrer bisherigen wie von ihrer künftigen Wirkungsstätte: Die bisherige Vizepräsidentin des Bundessozialgerichts sei nicht deshalb gewählt worden, damit die Geschlechterparität im 16-köpfigen Gericht erhalten bleibe - sondern weil sie die Beste für den Job sei.
In der Tat hat die 50-jährige Juristin eine Karriere hingelegt, die geradezu folgerichtig nach Karlsruhe führt: Promotion, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundesverfassungsgericht, Abordnung ins baden-württembergische Justizministerium, schließlich der rasche Aufstieg an die Spitze des Bundessozialgerichts, dessen Präsidentin sie wahrscheinlich geworden wäre. Solche Biografien fallen den Richtermachern auf; in diesem Fall war es die SPD, die Meßlings Wahl im Bundesrat vorgeschlagen hatte.
Meßlings Amtsantritt fällt in eine Phase des personellen Umbruchs. In nicht einmal einem Jahr sind fünf der 16 Richterposten neu besetzt worden, bis zum Ende des Jahres werden zwei weitere folgen. Und bisher ist - das war nicht immer so - in der Tat das Bemühen um hoch qualifizierte Kandidaten spürbar.
Wer effizient arbeitet, der gewinnt intern Einfluss
Martin Eifert, Professor in Berlin und ein moderner Geist im öffentlichen Recht, hat im Februar sein Amt in Karlsruhe angetreten. Er wurde auf Vorschlag der Grünen gewählt, nachdem ein erster Anlauf auf dem SPD-Ticket vor drei Jahren gescheitert war - damals bekam die erste ostdeutsche Kandidatin den Vorzug. Niemand zweifelt daran, dass auch er zu den Besten für den Job gehört. Als Wissenschaftler befasst er sich mit gesellschaftlichen Regulierungsfragen und elektronischer Verwaltung, bis hin zum neuen Megathema künstliche Intelligenz. Also mit der Zukunft, die für das Gericht wichtig ist.
Bereits im Januar wechselten Rhona Fetzer und Thomas Offenloch vom Bundesgerichtshof ans Verfassungsgericht, sie auf SPD- und er auf FDP-Vorschlag gewählt. Wer aus der Justiz kommt, bringt zwar meist nicht so viel Glamour mit wie ein Hochschullehrer. Offenloch hat sich beispielsweise mit Verkehrshaftpflicht befasst, Fetzer war Vorsitzende des wichtigen Mietrechtssenats. Aber wer die Arbeit im notorisch überlasteten Verfassungsgericht kennt, der weiß, dass die Aktenberge ohne die zupackenden Hände der Praktiker kaum zu bewältigen wären. Und wer effizient arbeitet, der gewinnt intern Einfluss - dafür gibt es genügend Beispiele in der Gerichtsgeschichte.
In die Umbruchphase fällt auch die Wahl von Heinrich Amadeus Wolff, ebenfalls ein FDP-Vorschlag, ernannt im Juni 2022. Er ist Professor in Bayreuth. Und zwei weitere Wechsel stehen bevor, im September endet die Amtszeit von Peter Müller, im Dezember jene von Sibylle Kessal-Wulf, beide auf dem CDU-Ticket gewählt. Dann wird beinahe das halbe Gericht ausgewechselt sein.
Die Sache ist vorbei, bevor sich jemand für gottgleich halten kann
Nun ist die personelle Veränderung ständiger Begleiter des Gerichts, das keine Lebenszeitmandate wie beim US-Supreme Court kennt, sondern die heilsame Begrenzung auf eine Amtszeit von zwölf Jahren; die Sache ist vorbei, bevor sich jemand für gottgleich halten kann. Trotzdem hält das Gericht im Großen und Ganzen Kurs. Hektische Änderungen der Rechtsprechung werden vermieden und verfassungsrechtliche Innovationen behutsam, aber markant eingestreut: Computergrundrecht, drittes Geschlecht, Klimaschutz.
Doch die Wechsel der vergangenen Monate dürften ihre Spuren in der Rechtsprechung hinterlassen. Das könnte vor allem für die europakritische Linie des Zweiten Senats gelten. Ihr maßgeblicher Architekt Peter Huber ist ausgeschieden. Damit findet eine Ära ihr Ende, in der das Gericht großen Aufwand betrieben hat, um in Europa ein Wort mitzureden - zuerst beim Euro-Rettungsschirm, dann bei den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Rechtsprechung fand ihren Höhepunkt - manche sagen: ihren Tiefpunkt - in einem Urteil von 2020, in dem Karlsruhe der EZB wie auch dem Europäischen Gerichtshof die Überschreitung ihrer Befugnisse vorwarf.
Im Verfassungsgericht gibt es vermutlich niemanden, der so einen Crash gern wiederholen möchte. Schon deshalb ist zu erwarten, dass nach dem Weggang von Huber und demnächst Müller die in EU-Fragen konzilianteren Kräfte im Zweiten Senat an Einfluss gewinnen. Zum Beispiel Astrid Wallrabenstein, 2020 auf Vorschlag der Grünen gewählt. Eine ebenso kluge wie durchsetzungsfähige Richterin, deren Einfluss im Senat nun zunehmen dürfte.
Es steht eine wütende, wahlrechtliche Klage von CDU und CSU bevor
Auch beim Wahlrecht, gerade mal wieder ein großes Thema im Zweiten Senat, könnte sich das Wechseljahr auswirken. Denn es steht eine wütende Klage von CDU und CSU bevor, die sich wegen der jüngsten Reform der Ampelkoalition um den Vorteil betrogen sehen, den ihnen die Direktmandate beschert haben. Peter Müller, bisher federführend fürs Wahlrecht zuständig, wird den Fall wohl nicht mehr bearbeiten können. Für die CDU war der einstige CDU-Ministerpräsident freilich ohnehin keine Bank im Gericht. Er scheint eher an seinem Eintrag ins Geschichtsbuch zu arbeiten - und zwar als parteiunabhängiger Richter. Vor einem Urteil gegen die CDU würde er nicht zurückschrecken.
Auch im Ersten Senat haben sich prägende Persönlichkeiten verabschiedet, darunter Gabriele Britz, eine der einflussreichsten Richterinnen der vergangenen Jahrzehnte. Sie hat den Klimaschutzbeschluss geprägt und zuletzt in einem fulminanten Urteil zum bayerischen Verfassungsschutzgesetz die Befugnisse der Sicherheitsbehörden zurückgestutzt.
Beim Thema innere Sicherheit hat nun ihre Kollegin Yvonne Ott die zentrale Rolle übernommen, eine frühere BGH-Strafrichterin, die auf Vorschlag der SPD ans Gericht kam. Sie steht ebenfalls für die liberal-pragmatische Grundrichtung des Gerichts, das den Sicherheitsbehörden ja stets die Luft zum Atmen ließ und lediglich die Maßlosigkeiten der Gesetzgeber korrigiert hat. Bei Polizei und Verfassungsschutz dürfte das Gericht also Kurs halten.
Für künftige Klimaklagen ist Martin Eifert zuständig. Hier hat sich das Gericht zwar nach dem epochalen Beschluss vom Frühjahr 2021 ostentativ zurückgehalten, vermutlich, um nicht in den Verdacht der politischen Übergriffigkeit zu geraten. Nachfolgeklagen wurden durchweg abgewiesen. Doch das muss nicht das Ende der Geschichte sein. Der jüngste Bericht des Expertenrats für Klimaklagen warnt vor einer Verfehlung der Klimaziele, auch die geplante Änderung des Klimaschutzgesetzes könnte das Tempo der Energiewende drosseln. Bei den Umweltverbänden denken sie bereits intensiv über neue Klagen nach.