Bundesverfassungsgericht:Karlsruhe grübelt weiter über Berlin-Wahl

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Eigentlich sind bei Landtagswahlen ja die Landesverfassungsgerichte zuständig. Was hat Peter Müller, Richter des Zweiten Senats, also noch zur Berlin-Wahl zu sagen? (Foto: Imago)

Droht der Hauptstadt eine Wiederholung der Wiederholung? Die Klagen gegen die - inzwischen absolvierte - Neuauflage der Wahl geben dem Bundesverfassungsgericht jedenfalls "sehr grundsätzliche Fragen" auf.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Das Bundesverfassungsgericht hatte rechtzeitig für Klarheit gesorgt. Die Pannenwahl zum Berliner Abgeordnetenhaus vom September 2021 dürfe wiederholt werden, entschied das Gericht in einem Eilbeschluss knapp zwei Wochen vor dem Termin am 12. Februar. Was inzwischen auch unfallfrei gelungen ist. Zurück blieb freilich ein Rätsel. Das Gericht hatte - nachvollziehbar angesichts der Eile - keine Begründung mitgeliefert. Das erschwert Prognosen darüber, ob die Klagen gegen die komplette Neuauflage der Wahl im Hauptsacheverfahren womöglich doch noch Erfolg haben könnten.

Beim Jahrespresseempfang des Karlsruher Gerichts hat Peter Müller, als Berichterstatter für das Verfahren zuständig, das Geheimnis nun ein klein wenig gelüftet. "Die Klagen werfen sehr grundsätzliche Fragen auf" - Fragen, zu denen in der Karlsruher Rechtsprechung noch keine Antworten zu finden seien. Es geht um das föderale Miteinander. Und darum, ob das Bundesverfassungsgericht bei fehlerhaften Landtagswahlen überhaupt einschreiten darf.

Viele Abgeordnete haben geklagt. Ihre Argumente sind bedenkenswert

Eigentlich schien das geklärt zu sein: Bei Landtagswahlen hat das jeweilige Landesverfassungsgericht die Oberaufsicht darüber, ob die Wahlrechtsgrundsätze eingehalten sind - also, ob die Wahl allgemein und unmittelbar war, frei, gleich und geheim. Bei Bundestagswahlen sitzt die letzte Instanz in Karlsruhe. Juristen sprechen von "selbstständigen Verfassungsräumen" - hier der Bund, dort die Länder. So steht es etwa in einem Karlsruher Beschluss zum bayerischen Kommunalwahlrecht von 1998.

Aber der 250 Seiten starke Schriftsatz der Berliner Rechtsanwältin Roya Sangi aus der Kanzlei Redeker - sie vertritt die mehr als 40 Beschwerdeführenden, unter ihnen viele Abgeordnete - hat den Zweiten Senat offenbar ins Grübeln gebracht. Zwar hatte Karlsruhe 1998 formuliert: "Die Länder gewährleisten den subjektiven Schutz des Wahlrechts bei politischen Wahlen in ihrem Verfassungsraum abschließend."

Gleichwohl folgen nach Sangis Ansicht aus dem Grundgesetz gewisse "Homogenitätsanforderungen" für die Beurteilung von Wahlfehlern, ob im Bund oder in den Ländern. Das Bundesverfassungsgericht habe sich keineswegs restlos aus der Kontrolle von Landtagswahlen zurückgezogen, die Verfassungsräume seien vielmehr "verschränkt". Und weil dies so sei, müsse das Bundesverfassungsgericht etwa auf dem Weg einer Willkürkontrolle gravierende Fehler korrigieren. Fehler, die sie im Urteil des Landesverfassungsgerichts zuhauf entdeckt haben will, wie bei der Frage, ob die Öffnung der Wahllokale nach 18 Uhr einen Wahlfehler darstelle. Hier habe das Gericht schlicht auf den falschen Paragrafen zurückgegriffen.

Auch die Berlin-Pannen bei der parallelen Bundestagswahl sind noch Thema

Für wie überzeugend Karlsruhe diesen Ansatz hält, wird man frühestens im Mai wissen - dann folgt die Begründung des Eilbeschlusses, danach geht es ins Hauptsacheverfahren. Droht eine Wiederholung der Wiederholung? Sehr wahrscheinlich ist das nicht, aber das Gericht macht sich die Sache nicht leicht. Jedenfalls war es nach den Worten von Peter Müller schlicht unmöglich, in der kurzen Zeitspanne zwischen Einreichung des Antrags kurz vor Weihnachten und dem Wahltermin eine seriöse Begründung zu formulieren.

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Zugleich kündigte das Gericht eine mündliche Verhandlung wahrscheinlich noch vor der Sommerpause an, und zwar über Berliner Pannen bei der parallel abgehaltenen Bundestagswahl. Der Bundestag hatte eine Wiederholung in rund einem Fünftel der Wahlbezirke angeordnet. Dagegen hatten CDU/CSU und AfD geklagt. Ein Urteil folge vermutlich im Herbst. Heißt: In Karlsruhe ist Wahljahr.

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