Bundestagspolizei:Wachtmeister der Demokratie

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Ein Paket mit Uniformen der Polizei beim Deutschen Bundestag. Sie sind identisch mit denen der Bundespolizei. Lediglich Schulter- und Mützenabzeichen sind mit dem Adler des Bundestags gekennzeichnet. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Der Bundestag hat eine eigene Polizei. Weil Rechtsradikale auf die Treppe des Reichstagsgebäudes stürmen konnten, wird nun über die Ausstattung der Beamten diskutiert.

Von Boris Herrmann und Robert Roßmann, Berlin

Nach dem Eklat am Bundestag ist die Aufregung groß in Berlin. Politiker aller Regierungsparteien fordern Konsequenzen. Die Personalien der Demonstranten seien festgestellt worden, ihnen drohe eine Strafanzeige, heißt es. Der Bundestagspräsident spricht von einer widerrechtlichen Protestaktion. Der Union pocht darauf, dass die Sicherheit im Parlament gewährleistet sein müsse. Und die SPD kündigt an, dass sich der Ältestenrat des Bundestags mit dem Vorfall befassen werde. So war das damals, im April 2007, als es zwei Demonstranten gelang, den Abgeordneten aufs Dach zu steigen, um sich dann von der Dachterrasse abzuseilen.

Ganz neu ist die Debatte über den Schutz des Reichstagsgebäudes vor Unbefugten also nicht. Der Bundestagspräsident hieß 2007 noch Norbert Lammert. Er bezeichnete damals die Vorstellung, derartige Protestaktionen "unter Aufrechterhaltung liberaler Umgangsformen für immer ausschließen" zu können, als "nicht wirklichkeitsnah".

Und tatsächlich ist das Gebäude seither immer mal wieder beklettert und erklommen worden, zuletzt Anfang Juli von Greenpeace-Aktivisten. Sie spannten unter dem berühmten Giebel mit dem Schriftzug "Dem Deutschen Volke" ein Plakat, auf dem sie eine "Zukunft ohne Kohlekraft" verlangten. Wie wirklichkeitsnah aber selbst ein wütender Mob aus Neonazis und Reichsbürgern dem zentralen Bauwerk der deutschen Demokratie kommen kann, das hat vermutlich auch Lammert bis zum vergangenen Wochenende nicht geahnt.

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An diesem Donnerstag wird sich erneut der Ältestenrat mit der Frage befassen, wie das Reichstagsgebäude besser vor Eindringlingen geschützt werden kann. Und dabei wird auch der Umstand eine Rolle spielen, dass der Bundestag nicht nur ein Parlament ist, sondern auch ein eigener Polizeibezirk. Die Bundestagspolizei ist ein Solitär. Ihr Chef ist nicht irgendein Innenminister, sondern der Bundestagspräsident. Und ihre Existenz ist sogar durch das Grundgesetz vorgeschrieben. Dort heißt es, der Parlamentspräsident übe "das Hausrecht und die Polizeigewalt im Gebäude des Bundestages aus". Ohne seine Genehmigung dürfe "in den Räumen des Bundestages keine Durchsuchung oder Beschlagnahme stattfinden".

Die Uniformen der Bundestagspolizisten ziert der silberne Parlamentsadler. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Historisch geht diese Sonderrolle auf die Französische Revolution zurück. Am 25. Juni 1789 forderte die Nationalversammlung den König auf, die Gardetruppen zu entfernen, die den Tagungssaal - offiziell zum Schutz der Versammlung - umstellt hatten. In der Folge wurde die parlamentarische Polizeigewalt in der französischen Verfassung festgeschrieben. Die Exekutive und die Judikative sollten prinzipiell keine Macht mehr über die Legislative haben, das ist ein Kern der Gewaltenteilung, wie man sie bis heute kennt. Und so verfügt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble heute über eine eigene Polizei. Sie ist für alle Gebäude, Räume und Grundstücke verantwortlich, die der Verwaltung des Bundestages unterstehen.

Die Bundestagspolizei hat eine vergleichsweise schlechte Schutzmontur

Im Kern gelte dabei "das Prinzip der geschützten Außenhaut", sagt ein Sprecher Schäubles. Wer ein Bundestagsgebäude betrete, werde am Eingang kontrolliert, dürfe sich innerhalb des Gebäudes dann aber frei bewegen. Am vergangenen Wochenende waren die Rechtsextremen bis an diese geschützte Außenhaut gekommen - in diesem Fall an die Eingangstür am Westportal des Reichstagsgebäudes. Dann haben drei mutige Beamte der Berliner Landespolizei sie zurückgedrängt. Und seitdem stellt sich die Frage, ob das auch der Bundestagspolizei gelungen wäre, wenn die Rechtsextremen die Türschwelle übertreten hätten und damit in den Hoheitsbereich der Parlamentspolizei gekommen wären. Denn die Bundestagspolizei ist nicht nur vergleichsweise schlecht ausgestattet, sie verfügt zum Beispiel nicht über die Schutzmonturen, wie man sie von Demonstrationseinsätzen normaler Polizisten kennt. Sie ist auch sonst ziemlich schwach auf der Brust.

"Wir haben rund 200 Polizeibeamte, davon 30 abgeordnet von der Bundespolizei", sagt ein Sprecher Schäubles. Am Dienstag hätten außerdem zwölf Anwärter ihren Dienst angetreten. Sieben Stellen seien aber leider weiterhin unbesetzt.

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Die Ausbildung der Bundestagspolizisten in einer Einrichtung der Bundespolizei in Neustrelitz ist zwar attraktiv, auch die Bezahlung entspricht jener der Bundespolizisten. Parlamentspolizisten müssen außerdem im Gegensatz zu normalen Beamten nicht mit einer Versetzung in eine andere Stadt rechen - es steht ja kein Parlamentsumzug mehr an. Doch der Dienst im Bundestag besteht oft aus Wacheschieben und Kontrollgängen. Das ist vielen zu langweilig. Daran haben auch die neuen Uniformen nichts geändert.

Das Hoheitsabzeichen auf diesen Uniformen ist übrigens ein silberner Parlamentsadler. Doch ein Parlamentsadler allein reicht im Zweifel nicht zur Abschreckung. Und so wird der Ältestenrat jetzt auch darüber beraten, ob die Bundestagspolizei besser ausgestattet werden muss.

© SZ vom 03.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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