Bundesregierung:Analyse: Auf dem Gipfel des Misstrauens

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Berlin (dpa) - Thomas Oppermann stellt sich den Weg aus der tiefen Vertrauenskrise in der Koalition durch die Edathy-Affäre so vor: Union und SPD kehren einfach schnell zur Sacharbeit zurück.

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Berlin (dpa) - Thomas Oppermann stellt sich den Weg aus der tiefen Vertrauenskrise in der Koalition durch die Edathy-Affäre so vor: Union und SPD kehren einfach schnell zur Sacharbeit zurück.

„Das ist das Gebot der Stunde“, sagt der SPD-Fraktionschef am Dienstag in Berlin wenige Stunden vor dem Sechs-Augen-Gespräch der drei Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD). Also irgendwie Schwamm drüber, Blick nach vorn?

Für Merkel heißt das Gebot dieser Stunde: Vertrauen. Dieses schnell wieder herzustellen, dürfte schwer werden. Es geht um das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat und die Arbeit der Koalition und um das Vertrauen von Union und SPD untereinander. Diese Koalition erscheint in ihren Anfängen aber schon jetzt beschädigter als es Schwarz-Gelb beim Start durch den Ärger um den Steuerbonus für Hoteliers 2010 war. Und diesen Makel waren Union und FDP nicht wieder losgeworden.

„Wir werden dieses Vertrauen wieder herstellen“, verspricht Oppermann. Nur wie, bleibt angesichts der zahlreichen unbeantworteten Fragen offen. Warum hat Gabriel im Herbst Informationen vom damaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nicht für sich behalten, wonach der Name des SPD-Politikers Sebastian Edathy im Zuge von Ermittlungen im Ausland aufgetaucht ist? Warum hat er unter anderem Oppermann eingeweiht, der damals Fraktionsgeschäftsführer war?

Wurde der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete, der Fotos von nackten Kindern besitzen soll (was im Gegensatz zu Kinderpornografie noch nicht strafbar ist), aus seiner Partei gewarnt? Was wusste die SPD in Edathys Landesverband Niedersachsen? Kann es Zufall sein, dass bei Edathy wenig Beweismaterial gefunden wurde und er in der vergangenen Woche seinen Dienst-Laptop als gestohlen meldete?

Selten haben sich Spitzenpolitiker von CDU und CSU so offen für einen Untersuchungsausschuss zu einem Thema der Koalition gezeigt wie in diesem Fall. Sollten Linke und Grüne ein solches Gremium einsetzen wollen, würden sie sich nicht verschließen, betonen Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU), Vizefraktionschefin Gerda Hasselfeldt (CSU) und Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU). Das spricht nicht für Vertrauen der Union in die SPD.

Die CSU fordert nun einen „Vertrauensbeweis“ der SPD und meint damit ein Zugehen auf die CSU etwa beim Thema Mindestlohn oder Pkw-Maut. Selbstbewusst kündigt Oppermann aber an, die SPD werde keine „Dinge miteinander verknüpfen, die nichts miteinander zu tun haben“. Und er provoziert die Union mit seiner Deutung: „Ich bin zusammen mit Herrn Kauder ein Stabilitätsanker dieser Koalition.“

Als Anker für Stabilität sehen CDU und CSU Oppermann nun gerade nicht. Der gewohnt scharfzüngige SPD-Mann steht selbst im Fokus der Auseinandersetzung, weil er öffentlich gemacht hat, dass Friedrich den SPD-Chef informiert hatte. Friedrich, dem Geheimnisverrat vorgeworden wurde, trat zurück. Hasselfeldt spricht von einer Hypothek für die große Koalition und von turbulenten Zeiten. Es sei bitter, dass ausgerechnet ein CSU-Politiker Schaden nehme, der Schaden von der SPD habe abwenden wollen. Denn hätte die SPD Edathy im Unwissen über die Ermittlungen womöglich ins Kabinett berufen, hätte sie damit schnell ein Problem gehabt. Dann wäre aber die Affäre bei der SPD und Friedrich im Amt geblieben, heißt es bei der Union.

Dort rätseln einige, warum Friedrich ausgerechnet Gabriel informierte. Denn dessen einstige Indiskretion mit einer SMS von Merkel an ihn - vor der Bundespräsidentenwahl 2010 - sei allen noch gut in Erinnerung. Und noch zwei Fragen stellen sich: Hat Friedrich wirklich nur Gabriel informiert und nicht auch den Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) oder sogar Merkel? Und war es klug, Friedrich vor Aufklärung der Affäre zum Unionsfraktionsvize zu machen?

Die Kanzlerin betont, Friedrichs Rücktritt sei nötig gewesen sei. Er habe die politische Verantwortung für einen möglichen Vertrauensverlust der Bürger in den Rechtsstaat übernommen. Das ist auch nachträglich nochmals eine klare Distanzierung. Vor ihrem Treffen mit Seehofer und Gabriel am Abend herrschte in beiden Koalitionsfraktionen Ratlosigkeit, wie die drei Parteivorsitzenden die Vertrauenskrise überwinden wollen.

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