Gauck fordert substanzielle Maßnahmen gegen Flüchtlingselend
70 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus geht es den Deutschen so gut wie nie. Dies sei eine Verpflichtung zu besonderem Engagement, sagte Bundespräsident Joachim Gauck im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Zu den Menschen, die mehr Schutz bräuchten, gehörten für ihn auch Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa kommen wollen.
Wenn die EU dem "Massensterben" ein Ende bereiten wolle, müsse sie nun substanzielle Maßnahmen ergreifen. "Ich meine, Europa insgesamt könnte und sollte mehr tun", sagte Gauck. "Wer in Lebensgefahr gerät, muss gerettet werden. Außerdem gilt es, mehr legale Zugangswege nach Europa zu schaffen und sich auf eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge zu verständigen." Es sei aber auch wichtig, kriminellen Schleusern das Handwerk zu legen und Fluchtursachen zu bekämpfen.
Möglichkeiten der Wiedergutmachung gegenüber Griechenland ausloten
Zudem regte der Bundespräsident eine Wiedergutmachung für die Kriegsverbrechen an, die die Deutschen in Griechenland begangen haben. "Wir sind ja nicht nur die, die wir heute sind, sondern auch die Nachfahren derer, die im Zweiten Weltkrieg eine Spur der Verwüstung in Europa gelegt haben - unter anderem in Griechenland, worüber wir beschämend lange wenig wussten", sagte Gauck. "Es ist richtig, wenn ein geschichtsbewusstes Land wie unseres auslotet, welche Möglichkeiten von Wiedergutmachung es geben könnte."
Griechenland im Zweiten Weltkrieg:Leid und Leidenschaft
Mit einem "Spaziergang nach Athen" wollte Italiens Diktator Mussolini 1940 die Griechen unterwerfen - er hatte nicht mit ihrem tapferen Widerstand gerechnet. Noch schlimmer wurde es aber für die Griechen, als die Deutschen kamen.
Als Bundespräsident vertrete er zwar keine andere Rechtsauffassung als die Bundesregierung, die Reparationszahlungen ablehnt. Dennoch verfolge er mit Interesse "die Diskussion über unterschiedliche Vorschläge, dem Bedürfnis vieler Griechen nach einer Art Wiedergutmachung gerecht zu werden." Er wünsche sich allerdings auch, "dass die griechische Regierung hier etwas verbindlicher aufträte, als sie es bisweilen tut."
Gedenken an sowjetische Kriegsgefangene
Bei einem Griechenland-Besuch im vergangenen Frühjahr hatte Gauck Unbehagen über den Umgang mit deutschen Kriegsverbrechen in Griechenland erkennen lassen. Das Unrecht sei nur unzureichend aufgearbeitet worden. Im Gespräch war zunächst die Idee einer Stiftung, etwa nach dem Vorbild der Stiftung für ehemalige Zwangsarbeiter in Deutschland, an der neben der Bundesregierung auch Unternehmen beteiligt sind.
Nach dem Zweiten Weltkrieg:Wie Haidhausen das Kriegsende feierte
Sowjetische Kriegsgefangene feiern ihre Freiheit, weiße Fahnen hängen aus den Fenstern und Jugendliche werden am Wiener Platz entnazifiziert: Eine Ausstellung im Haidhausen-Museum zeichnet nach, wie die Bewohner den Einmarsch der US-Soldaten erleben.
Bei den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus in der kommenden Woche will Gauck die Leiden sowjetischer Kriegsgefangener in Deutschland würdigen. Von rund 5,5 Millionen sowjetischen Soldaten, die in die Hände der Wehrmacht fielen, überlebte weniger als die Hälfte. Die meisten verhungerten oder starben aufgrund katastrophaler hygienischer Verhältnisse. In Deutschland werde darüber vergleichsweise wenig gesprochen. "Diese Männer befinden sich, was das kollektive Gedächtnis angeht, in einer Art Erinnerungsschatten", sagte Gauck. "Das wird ihnen nicht gerecht."