Bundespräsident: Geheimbrief Wulff:"Tore, keine Eigentore"

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Das neue Staatsoberhaupt Christian Wulff wechselt mit fliegenden Fahnen von Hannover nach Berlin ins Schloss Bellevue. Da blieb dem langjährigen Ministerpräsidenten keine Zeit für seine Abschiedsrede an die Niedersachsen. sueddeutsche.de dokumentiert den geheimen Brief - ganz exklusiv.

Hans-Jürgen Jakobs

Es musste alles ganz schnell gehen mit dem präsidialen Wechsel. Eben noch Ministerpräsident, jetzt Bundespräsident - für Christian Wulff bot der Abend des 30. Juni 2010 eine ganz besondere Herausforderung. Zeit für eine Rücktrittsrede als Niedersachsen-Premier hatte er dabei nicht, die Sache erfolgte im Hinterzimmer des Bundestages. sueddeutsche.de ist jedoch der Entwurf eines Abschiedsbriefs an alle Niedersachsen zugespielt worden. (Ohne Gewähr auf Richtigkeit.)

Er ist Fußballfan, doch am "Tag der Niedersachsen" in Celle rutschte Christian Wulff doch ein Ball durch die Hände. (Foto: ddp)

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, liebe Niedersachsen,

Sie haben in den vergangenen Wochen viel über mich gelesen. Nicht alles war richtig, aber ersparen Sie mir, auf die Einzelheiten einzugehen. Sonst heißt es am Ende noch, Christian Wulff sei seines Schwiegersohn-Images überdrüssig.

Ich möchte Ihnen noch einmal dafür danken, dass Sie seit 2003 meiner Politik in unserem schönen Land gefolgt sind und dass ich so viele Anregungen bekommen habe. Wenn ich nun Präsident werde, weiß ich, dass ich schon lange gerne Präsident war. Statt Ministerpräsident heißt es nun eben Bundespräsident, und ich habe auf meiner jüngsten sommerlichen Tour durch unsere Städte und Dörfer bemerkt, wie wichtig der direkte Kontakt zu Ihnen, liebe Bürger, im sogenannten politischen Geschäft ist.

Präsidial war schon immer mein Lieblings-Führungsstil. Zweimal haben Sie mich dennoch spüren lassen, dass ich noch nicht soweit war für das schöne Amt in Niedersachsen. Dagegen war meine Wahl zum Bundespräsidenten trotz der drei Wahlgänge und dem Gezittere eine einfache Angelegenheit, das habe ich auch im Bundestag so ausgedrückt. Aber ich glaube, gezeigt zu haben, dass es richtig war, nach Gerhard Schröder, Gerhard Glogowski und Sigmar Gabriel nicht mehr den Sozialdemokraten zu vertrauen.

Niedersachsen hat in meiner Amtszeit den Sieg im Eurovision Song Contest geholt, den Fußballklub Hannover 96 in die Erste Liga gebracht, über das Unternehmen Volkswagen AG den Autohersteller Porsche akquiriert, regionale Nachrichten des NDR gesichert, Veronica Ferres zum Maschsee gelockt, das Gespenst Schulden gezähmt und die Stellung der Continental AG gegenüber der Käuferin aus Bayern verteidigt.

Wir sind wieder wer. Wir haben sichere Atomkraftwerke, die immer weiter laufen sollten und wir haben die erste muslimische Ministerin eines deutschen Kabinetts. Über uns Niedersachsen lacht keiner mehr. Man bestaunt uns.

Deshalb ist es nur logisch, dass der erste Mann des Landes nun der erste Mann des Staates wird. Es ist auch Ihr Verdienst, da Sie mich am Ende immer wieder gewählt haben. Im Übrigen hatte schon der Vorgänger im Amt aus meiner Partei, Ernst Albrecht, die Grundlagen gelegt. Es wäre auch schön gewesen, wenn seine Tochter Ursula von der Leyen die erste Bundespräsidentin in der Geschichte geworden wäre, aber die Umstände waren nun einmal nicht so.

Wenn ich einmal die Chance für das Bundeskanzleramt bekäme, würde ich mich dafür einsetzen, dass die Niedersächsin Ursula von der Leyen doch noch in das Amt kommt. Ich habe ja bereits den Vorschlag gemacht, Bundeskanzler oder Ministerpräsidenten direkt vom Volk wählen zu lassen. Dann wäre manches einfacher, auch für mich.

Mit jetzt 51 Jahren fühle ich mich jung und fit genug, auch noch größere Herausforderungen zu bewältigen. Ich darf daran erinnern, dass ich schon 1995 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos zu einem der 100 Global Leaders for Tomorrow gewählt wurde und 2006 die Auszeichnung zum Krawattenmann des Jahres folgte.

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Meine lieben Mitbürger, wie Sie wissen, liegen harte Jahre vor uns. Wir Niedersachsen sind weniger davon betroffen, weil wir Interessen mit Freundlichkeit durchsetzen können. Es ist unser Vorteil, wenn jemand dies mit Harmlosigkeit verwechselt. Wir lassen uns von keinen Fallenstellern irritieren, nicht einmal von jenen im eigenen Lager

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Bildern.

In meinem neuen Amt im Schloss Bellevue werde ich zeigen, dass ein Schuss Jugendlichkeit den Aufgaben guttut. Aus dem neuen Spielzimmer, das meine Frau Bettina einrichtet, werden Schreie der Freude nach außen dringen und der Nation Zuversicht verleihen.

Sie wissen, dass ich mich immer mit meiner Familie den öffentlichen Anforderungen gestellt habe und dies auch im Wahlkampf mit schönen Bildern von meiner Frau und meinen Kindern deutlich machte. Ansonsten halte ich Privates für tabu.

Aus Familieninteresse habe ich auch zunächst im Dezember 2009 bei einem Ferienflug die kostenlose Hochstufung in die teurere Businessklasse akzeptiert und später den Differenzbetrag an die Fluggesellschaft gezahlt. Wir dürfen die Wirtschaft nicht verteufeln, zumal wenn Firmen wie Air Berlin Sommerfeste unserer Landesvertretung in Berlin unterstützen.

Es kommt am Ende auf das Team an. Auf neue Zeichen, auf neue Tattoos für Deutschland, wie die neue First Lady Deutschlands immer sagt.

Als Bundespräsident werde ich mich sofort dafür einsetzen, dass die deutsche Fußball-Nationalmannschaft in Südafrika Weltmeister wird. Für diesen Plan habe ich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel überzeugen können. "Wir haben die Kraft", das war der berechtigte Slogan unserer Partei CDU im Bundestagswahlkampf 2009. Es kommt darauf an, diese Kraft in Tore umzusetzen, nicht in Eigentore. Das ist auch der Geist meiner Antrittsrede als Bundespräsident, an der ich seit vier Wochen arbeite.

Wie Sie wissen, komme ich aus Osnabrück, der Stadt, in der der Westfälische Friede geschlossen wurde. Das ist mir Vermächtnis und Auftrag. Als Weltmeister allerdings, lassen Sie mich das auch sagen, lebt es sich noch friedlicher. Ansonsten sehe ich mich als Anwalt der Zukunft.

Liebe Niedersachsen, seien Sie unbesorgt: Auch als Präsident aller Deutschen bleibt mir meine Heimat besonders wichtig. Deshalb werden wir unsere Wurzeln in Großburgwedel nicht kappen. In den nächsten Wochen werde ich dort mit Joachim Gauck viel über Freiheit und Verantwortung in Deutschland reden.

Mit besten Grüßen

Ihr

Christian Wulff

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