Bundespräsident:Drei Tage Espelkamp: Steinmeier will Distanz entgegenwirken

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier winkt Passaten zu und geht zum Hotel Alter Kornspeicher, um dort in seinem vorübergehenden Amtszimmer zu arbeiten. (Foto: Jens Büttner/Deutsche Presse-Agentur GmbH/dpa)

Tischkicker-Champion und Selfie-Star: Der Bundespräsident zeigt sich bewusst auf Augenhöhe. Um die Distanz zwischen Politik und Bürgern zu verringern, ist er auf dreitägigem Ortsbesuch in Espelkamp.

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Espelkamp (dpa/lnw) - Für seine Reise nach Espelkamp nimmt sich der Bundespräsident mehr Zeit als für so manchen Staatsbesuch: Ganze drei Tage lang wird Frank-Walter Steinmeier seine Amtsgeschäfte von der 27 000-Einwohner-Stadt in Ostwestfalen aus führen. Er wolle dabei den Kontakt und Austausch zu den Menschen in der vielfach durch Zuwanderung geprägten Stadt suchen, betonte Steinmeier am Dienstag zum Beginn seiner Reise. Sie gehört zur Reihe „Ortszeit Deutschland“, für die das Staatsoberhaupt seinen Amtssitz bereits zum zehnten Mal vom Berliner Schloss Bellevue in eine Region verlegt, die sonst weniger Aufmerksamkeit erfährt. 

Während der Pandemie seien „Risse in der Gesellschaft größer geworden“, erklärte der Bundespräsident am Dienstag. So sei die Entfremdung der Menschen untereinander ebenso größer geworden wie die Distanz zwischen Bürgern und Politik. „Diese Distanz zu überwinden, das geht nicht allein durch Reden. Sondern das erfordert Anwesenheit und Präsenz.“ Und so setzt Steinmeier neben zahlreichen vorbereiteten Treffen mit politisch Verantwortlichen und engagierten Bürgern, mit Unternehmern und Auszubildenden, mit Christen und Muslimen auch auf spontane Begegnungen. 

Dazu bot der Dienstag bereits Gelegenheit: Nach einer für das Staatsoberhaupt siegreichen Partie Tischkicker in einem Jugendzentrum begleiteten die Jugendlichen den Bundespräsidenten quer durch die Stadt zum Rathaus. Immer wieder nahm sich Steinmeier unterwegs Zeit zum Händeschütteln, plaudern, Selfies machen. Noch vor dem Eintrag in das Goldene Buch der Stadt gab es ein Backfischbrötchen auf dem Wochenmarkt für das Staatsoberhaupt und den ihn begleitenden Bürgermeister Henning Vieker (CDU). 

Am Abend eröffnete Steinmeier eine Ausstellung über „Espelkamp und andere 'Flüchtlingsstädte' in den 1950er Jahren“. Kaum ein Ort sei so wie Espelkamp von der Aufnahme Vertriebener, Zuwanderer und Geflüchteter, aber auch vom „sukzessiven Heimischwerden der Neubürger“ geprägt, sagte der Bundespräsident laut Redemanuskript. Zusammenleben und Zusammenwachsen sei immer auch mit Konflikten verbunden, es lohne sich aber von Espelkamp zu lernen. So habe man hier schon lange begriffen, dass „Sprache die Eintrittskarte zur gesellschaftlichen Teilhabe“ sei. 

Ähnlich nahbar soll es weitergehen: Am Mittwoch besucht der Bundespräsident unter anderem eine Schule mit besonderem Schwerpunkt auf Sprachvermittlung. Bei einer Kaffeetafel mit Bürgerinnen und Bürgern informiert sich Steinmeier am Abend über lokale Kontroversen wie die geplante Waldrodung für einen Krankenhaus-Neubau. Zwischendrin zieht sich Steinmeier für die Erledigung seiner Amtsgeschäfte zurück: Statt im Schloss Bellevue hat er mitsamt Vorzimmer-Personal, Arbeitsunterlagen und rotgeränderter Standarte mit Bundesadler Quartier in einem Hotel bezogen. 

Am Dienstagabend sollte Steinmeier eine Ausstellung eröffnen, die sich der besonderen Geschichte Espelkamps als sogenannte Vertriebenenstadt widmet. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten unter anderem in den Gebäuden einer Munitionsfabrik der Wehrmacht viele Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten Heimat gefunden - Keimzelle der heutigen Stadt. Auch später erlebte Espelkamp immer wieder viel Zuwanderung, etwa von Arbeitsmigranten und Spätaussiedlern. Zuletzt kamen viele Flüchtlinge aus der Ukraine, Afghanistan und Syrien hierher. Mehr als 50 Prozent der Menschen haben laut Bundespräsidialamt einen Migrationshintergrund.

Er komme daher mit großem Respekt vor der Leistung vieler Generationen politisch Wirkender nach Espelkamp, aber ohne Illusionen: „Das ist nicht nur heile Welt, was hier zu erleben ist. Sondern Integration ist eine Herausforderung, erfordert Arbeit, erfordert Verantwortung“, sagte Steinmeier. 

Für den aus Detmold stammenden Steinmeier ist der Besuch in Espelkamp auch ein Heimspiel - und eine Betrachtung seiner eigenen Wurzeln. In Ostwestfalen sei nach dem Zweiten Weltkrieg jeder fünfte Mensch ein Flüchtling oder Vertriebener gewesen - auch seine eigene Mutter aus Breslau, die im Lipper Land gar nicht weit von Espelkamp Zuflucht fand, wie er berichtete. 

© dpa-infocom, dpa:240311-99-302715/5

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