Bundesarbeitsgericht:Millionenschäden - "wegen jeder Kleinigkeit"

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Die Gewerkschaft der Flugsicherung will sich wehren: Sie soll Schadenersatz zahlen, weil sie bei einem Streik gegen die Friedenspflicht verstoßen hat.

Von Detlef Esslinger und Wolfgang Janisch, München

Die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) versucht, ihren Mitgliedern die Sorge zu nehmen, vor dem Ruin zu stehen. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom Dienstagabend habe "auf die gegenwärtige und zukünftige tarifliche und fachliche Arbeit keinen Einfluss", schrieb der Bundesvorstand am Mittwoch in einer Information an die Mitglieder. Mit anderen Worten: Existenz und Arbeitsfähigkeit der Organisation seien nicht bedroht.

Wer die Kassenlage der GdF nicht kennt, konnte seit Dienstagabend in der Tat Anlass zu pessimistischsten Vermutungen haben. Das Bundesarbeitsgericht hatte entschieden, dass die Gewerkschaft dem Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport Schadenersatz zu zahlen hat, wegen eines Streiks im Februar 2012. Ihr Streik sei rechtswidrig gewesen, weil er gegen die Friedenspflicht verstoßen habe. Die Fraport hatte die GdF auf 5 170 800 Euro plus Zinsen verklagt. Wie viel die Gewerkschaft tatsächlich zahlen muss, hat nun das Hessische Landesarbeitsgericht zu entscheiden (falls beide Seiten sich nicht zuvor untereinander einigen). Sie hat nur 3800 Mitglieder, aus deren Beiträgen sie sich finanziert.

Es ist in Deutschland relativ selten, dass Gerichte einen Streik für rechtswidrig erklären und eine Gewerkschaft zu Schadenersatz verpflichten. Die letzten beiden Male traf es die Gewerkschaft Verdi - 2012 nach einer Auseinandersetzung mit einem Verpackungshersteller, der 34 500 Euro haben wollte; 2002 nach einer Auseinandersetzung mit der Müllverwertungsanlage Bonn GmbH, die etwa 25 000 Euro wollte. Im ersten Fall ließ Verdi in der Auseinandersetzung um einen Flächentarifvertrag streiken, im zweiten verstieß die Gewerkschaft gegen die Friedenspflicht. Ihr Risiko war jedoch überschaubar, wie sich aus den eingeforderten Beträgen ergibt - ganz anders als jetzt bei der GdF. Gregor Thüsing, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Bonn, sagte am Mittwoch der Süddeutschen Zeitung, bisher habe man die Möglichkeit des Schadenersatzes nur in der Fachliteratur gefunden. "Auf einmal ist das Risiko von Schadenersatzforderungen real geworden."

Schon mit 200 Streikenden gelang es der GdF 2012, den Flughafen Frankfurt lahmzulegen. Hier fährt ein Fahrzeug der Vorfeldaufsicht vor Flugzeugen der Lufthansa entlang. (Foto: Fredrik von Erichsen/dpa)

Gleichwohl hofft die Gewerkschaft offenbar, die Zahlung noch vermeiden zu können. In der Info an die Mitglieder erklärte der Vorstand, zunächst das schriftliche Urteil des Bundesarbeitsgerichts abzuwarten. Damit ist im Herbst zu rechnen. Einige Aspekte seien aber noch nicht geklärt, "insbesondere Schadenshöhe und Mitverschulden der Fraport in der damaligen Auseinandersetzung". Beides werde die GdF vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht aufgreifen, wenn dieses - voraussichtlich im nächsten Jahr - über die Höhe des Schadenersatzes verhandelt.

Indem die Gewerkschaft von einem "Mitverschulden" der Fraport spricht, greift sie ein Argument auf, das das Landesarbeitsgericht verwendet hatte, als es im Dezember 2013 - anders als jetzt das Bundesarbeitsgericht - die Klage der Fraport verwarf. Die Frankfurter Richter sahen ein "erhebliches Mitverschulden" der Fraport am entstandenen Schaden, weil die Firma erst nach mehreren Streiktagen vor Gericht gezogen war (und nicht bereits, bevor der Streik begann). "Die GdF wird sich gegen den Anspruch mit allen Mitteln zur Wehr setzen", schrieb am Mittwoch ihr Bundesvorstand. Er erwäge auch den Gang vor "internationale Gerichte".

Das Bundesarbeitsgericht hatte sein Urteil mit dem Umfang der Streikforderungen von 2012 begründet. GdF und Fraport hatten damals monatelang verhandelt, ohne sich einig zu werden. Daraufhin beriefen sie den früheren ersten Bürgermeister von Hamburg, Ole von Beust (CDU), als Schlichter. Dessen Schlichtungsempfehlung enthielt aber auch Neuregelungen für diejenigen Teile des alten Tarifvertrags, die gar nicht gekündigt worden waren - und die GdF versuchte, auch diese Neuregelungen per Streik durchzusetzen; womit sie nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts gegen die Friedenspflicht verstieß. Der GdF-Vorsitzende Matthias Maas erklärte in einer Pressemitteilung am Mittwoch, diese Auffassung führe zu einer "massiven Risikoverschiebung" des Streikgeschehens zulasten der Gewerkschaften. "Jede noch so nebensächliche Tarifforderung kann den Arbeitskampf infrage stellen", sagte Maas. Gewerkschaften, die sich "wegen jeder Kleinigkeit" potenziellen Millionenschäden gegenübersähen, seien nicht mehr frei in der Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen.

Weitere vergleichbare Rechtsstreitigkeiten gibt es derzeit nicht. Die Lufthansa hatte der Pilotenvereinigung Cockpit im September 2015 während eines Streiks mit einer Klage auf 60 Millionen Schadenersatz gedroht. Die Verhandlungen zur Lösung des Konflikts laufen immer noch, weshalb das Unternehmen nach eigenen Angaben auf die Einreichung einer solchen Klage bisher verzichtet hat.

© SZ vom 28.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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