Bürgerkrieg in Syrien:Der Westen muss sich aus dem Gemetzel raushalten

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Mehr als 100.000 Menschen sind im syrischen Bürgerkrieg bisher ums Leben gekommen. Jenseits der Zahl der Toten ist die eigentliche Neuigkeit, dass sich die Dynamik des Konflikts gedreht hat. Die Aufständischen geraten in die Defensive. Was ist zu tun? Die traurige Nachricht lautet: Von außen ist dem Krieg nicht beizukommen.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Der syrische Bürgerkrieg hat nun auch auf die amerikanische Innenpolitik übergegriffen. John McCain, Senator, oberster Kriegsveteran in den USA und Diktatorenjäger, lieferte sich vor ein paar Tagen ein Wortscharmützel mit Amerikas oberstem Soldaten, General Martin Dempsey. Der Generalstabschef stand dem Senat Rede und Antwort zu Syrien, weigerte sich aber explizit, eine Empfehlung für oder gegen einen Kampfeinsatz zu geben.

McCain wollte aber genau dies hören: Amerikanische Truppen könnten doch endlich eine Flugverbotszone schaffen und Flüchtlings-Enklaven sichern. Dempsey aber mag solche Ratschläge nicht geben - zu politisch. Deshalb traf ihn der Zorn. Inzwischen hat sich McCain wieder beruhigt. Die Frustration über das Gemetzel in Syrien aber bleibt - und sie wächst mit jedem Kriegstoten.

100.000 Menschen haben nun im Bürgerkrieg ihr Leben gelassen. Diese symbolische Marke wurde irgendwann in den vergangenen Wochen überschritten. Keiner weiß genau, wann. Ungewissheit ist das wichtigste Charakteristikum dieses Krieges. Gäbe es mehr Gewissheit, dann würden sich vielleicht auch die USA auf einen begrenzten Einsatz einlassen. Weil sich aber das Kriegsgeschehen wendet, gibt es keine Sicherheit.

Die Aufständigen geraten in die Defensive

Dies ist die eigentliche Neuigkeit der vergangenen Wochen, jenseits der Zahl der Toten. Die Dynamik des Krieges hat sich gedreht, die Aufständischen geraten in die Defensive, während die Truppen von Machthaber Baschar al-Assad Land zurückerobern. Assads Zähigkeit hatte niemand vorausgesehen, auch nicht die Bedeutung der von Iran gesteuerten Hisbollah-Kämpfer an seiner Seite. Hingegen hat sich die Opposition zersplittert, sie wurde aufgerieben von lokalen Interessen und im religiösen Fanatismus.

1200 unterschiedliche Gruppierungen sollen nun gegen Assad stehen. Sie stehen aber nicht geschlossen gegen den Machthaber in Damaskus, sie stehen vor allem immer mehr gegeneinander. Eine syrische Opposition gab es noch nie. Nun gibt es viele hundert Strömungen - säkulare, religiöse, regionale, Fanatiker und Überzeugte. Bei dieser Kakophonie in Strategie und Kriegsziel stellt sich die Frage, wer eigentlich noch das Geschäft des Diktatorensturzes betreibt - und mit welcher Absicht. Islamistische Kämpfer, viele von ihnen unter der Flagge von al-Qaida, haben Syrien als Brutstätte für ihre Bewegung ausgemacht. Sie schießen auf schiitische Soldaten, armenische Christen, kurdische Freiheitskämpfer; es kommt zu Geiselnahmen und Erpressung.

Die Fragmentierung hilft Assad gleich mehrfach: Erstens ist es für ihn und seine assoziierten Hisbollah-Kämpfer leichter, die demoralisierten Widerstandsgruppen zu zermürben. Zweitens trifft er auf weniger Widerstand, weil die Aufständischen sich immer schlechter mit Waffen versorgen können. Die britische Regierung wird ihre im Übereifer beschlossene Rüstungshilfe nun doch erst mal sein lassen, nachdem eine punktgenaue Unterstützung politisch genehmer und steuerbarer Rebellen quasi unmöglich ist. Stattdessen gilt: Waffen fallen im Zweifel in die falschen Hände.

Und schließlich profitiert Assad auch politisch. Der Westen erkennt, dass in dieser Phase ein Schlächter im Herrscherstuhl von Damaskus immer noch besser ist als die vielen dschihadistischen Fanatiker in ihren Ausbildungscamps. Der amerikanische Militärgeheimdienst spricht von einer Überlebensfähigkeit für Assad von mindestens einem Jahr. Immerhin. Vor einem halben Jahr wurden seine Tage schon gar nicht mehr gezählt - Assad war faktisch erledigt. Eine beeindruckende Wiederauferstehung.

Syrien ist nichts für die Theorie

Bei so viel kaltem Realismus bleibt die simple Frage: Was lässt sich tun, damit der Krieg aufhört? Die immer gleiche Antwort: Es muss etwas geschehen - aber es kann nichts geschehen. Von außen ist dem Gemetzel nicht beizukommen. Sollte Dempsey seine Optionen wahrmachen - Flugverbotszone, Enklaven, Sicherung der chemischen Waffen -, könnten die USA umso schneller in den Krieg hineingesaugt werden. Auch al-Qaida hat noch eine Rechnung offen.

Bleiben die Moral, die Empörung, die humanitäre Verpflichtung. Gerade haben sie ebenfalls in den USA heftig über die Schutzpflicht der Vereinten Nationen diskutiert, die "Responsibility to Protect". Präsident Barack Obama hat sich mit Beratern umgeben, für die das humanitäre Völkerrecht im Mittelpunkt ihres außenpolitischen Denkens steht. Da steht es nun, eingehegt von allen Zwängen, die ihm die Realisten verpasst haben. Syrien ist nichts für die Theorie. Hier geht es ums blanke Überleben. Die Zuschauer im Westen müssen auch das aushalten.

© SZ vom 25.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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