Die Tory-Regierung hatte 2015, noch unter Finanzminister George Osborne, die Sozialausgaben um zwölf Milliarden Pfund gekürzt. Jugendclubs, Kindergärten, Nachmittagsbetreuung: In manchen Regionen wurde die Hälfte aller Einrichtungen wegen Geldmangels geschlossen. Dabei hatte Premierministerin Theresa May bei ihrem Amtsantritt eine "mitfühlende Tory-Partei" versprochen. Nun betonte ein Regierungssprecher in Reaktion auf die alarmierenden Zahlen zwar, man unterstütze Familien, schränkte aber ein, man wolle eben das "Wohlfahrtssystem fair für jene gestalten, die es bezahlen, und fair für jene, die davon profitieren".
Zahlen sind Zahlen. Sie erklären, sie atmen jedoch nicht. "Sex und Brexit faszinieren uns", kritisiert der Guardian, "aber die Armut, die sich in den jüngsten Studien zeigt, halten wir für normal." Irene Hayes tut das nicht. Sie ist die Frau des Pastors der Methodisten-Kirche in Bethnal Green und kümmert sich um die vielen einsamen, armen und alten Menschen im Haus. Freiwillige geben in einer Lebensmitteltafel im Anbau neben der Kirche Obst und Gemüse aus; Tarik, 25, übt mit arbeitslosen Müttern den Umgang mit Computern. "Die Reform der Sozialhilfe ist das ganze, traurige Geheimnis", sagt Irene Hayes. "Seither sehen wir immer mehr Kinder, deren Familien ihr Essen, ihre Stromrechnungen nicht mehr zahlen können."
Die Regierung hatte 2016 die Benefit Cap, eine Deckelung der Sozialhilfe, verschärft, die vor allem Familien mit Kindern schlechterstellt. Paare oder Alleinerziehende erhalten zum Beispiel in London nur noch 442 Pfund pro Woche, Kinderlose nur noch 296 Pfund. Vorher lagen die Summen bei 500 beziehungsweise 350 Pfund. Der größte Haken an der Deckelung: Die Zahl der Kinder ist dabei kaum relevant; eine Familie mit fünf Kindern erreicht die Sozialhilfedeckelung fast ebenso schnell wie eine Familie mit zwei Kindern.
Auch die Zahl der jungen Obdachlosen steige deshalb, fügt Pastor John Hayes in seiner Methodistenkirche hinzu: "Man muss sie nicht mal suchen, sie gehören hier mittlerweile zum Alltag." Ein paar Straßen weiter, in der Whitechapel Mission, landen viele Jugendliche, deren Familien aus ihren Wohnungen geworfen wurden, weil sie die irren Mieten in London nicht mehr zahlen konnten. Auch dazu gibt es neue, erschütternde Zahlen: 15 Prozent mehr Menschen lebten 2017 auf der Straße als noch im Jahr zuvor.
Vor ein paar Wochen ist das gesamte "Social Mobility Team" der Regierung zurückgetreten, ein Beratungsgremium für soziale Gerechtigkeit. Das Argument des frustrierten Ex-Vorsitzenden Alan Milburn: "Das Schlimmste in der Politik ist es anzukündigen, man werde etwas gegen soziale Ungleichheit tun. Und dann nichts zu tun."