Brexit:Von Ex-Patient zu Patient

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Brüssel beklagt stockende Verhandlungen mit London über einen Handelsvertrag.

Von Matthias Kolb und Alexander Mühlauer, Brüssel/London

Michel Barnier beginnt mit einem Gruß. Der Brexit-Chefunterhändler der EU tippt mit zwei Fingern an die Stirn und sagt: "Alles Gute für Ihre Genesung, Premierminister." Boris Johnson erholt sich noch von einer Corona-Infektion, Barnier hat seine bereits überstanden. Höflich wie immer informiert er über die fünftägige virtuelle Verhandlungsrunde über die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU, die am Freitag zu Ende ging. Doch die Botschaft ist klar: Obwohl die Zeit enorm drängt, sind die aus Barniers Sicht nötigen Fortschritte ausgeblieben: "Ich bedauere dies, und es beunruhigt mich."

Die Übergangsphase, in der sich faktisch nichts ändert, endet am 31. Dezember, und Großbritannien müsste bis Ende Juni einer Verlängerung um bis zu zwei Jahre zustimmen. Hart kritisiert Barnier die britische Verhandlungsführung: London habe zu einigen Bereichen keine Vorschläge für den Handelsvertrag vorgelegt und verhandle "selektiv". Zudem würden Grundsätze angezweifelt, zu denen sich beide im Austrittsvertrag und in der politischen Erklärung bekannt hätten.

Er ist bereits vom Coronavirus genesen: Der Brexit-Chefunterhändler der EU, Michel Barnier, am Freitag in Brüssel. (Foto: Olivier Matthys/AP)

"Wir brauchen überall Fortschritte", sagt Barnier

Barnier hebt vier Bereiche hervor. Brüssel besteht auf dem level playing field (LPF): Ein Zugang zum EU-Binnenmarkt setzt demnach voraus, dass London etwa die europäischen Umwelt- und Sozialstandards einhält. "Zur Realität gehört, dass 66 Millionen britischen Verbrauchern 450 Millionen Konsumenten in der EU gegenüberstehen", sagt der Franzose. Man biete London ungewöhnlich viel an, doch ohne LPF werde Brüssel nicht zustimmen.

Gleiches gelte für das Thema Fischerei, wo die EU auf Zugang zu britischen Gewässern besteht. Als drittes Thema nennt er governance, die Regeln zur künftigen Zusammenarbeit. Bei der Kooperation im Polizeibereich sowie im Kampf gegen Terror müsse man sich auf Regeln für den Datenaustausch einigen. Zudem gehe es bei der Umsetzung der Regeln für Nordirland kaum voran; der Frieden dort dürfe nicht gefährdet werden. Barniers Plädoyer für die nächsten Gespräche, die Mitte Mai und Anfang Juni anstehen: "Wir brauchen überall Fortschritte."

Die britische Seite sprach auch von "begrenzten Fortschritten". Chefunterhändler David Frost bekräftigte in dieser Woche, London habe keine Absicht, die Übergangsphase auszuweiten: "Wir werden keine Verlängerung beantragen. Wenn die EU das tut, werden wir Nein sagen." Ein Aufschub würde nur die Verhandlungen verlängern, ohne dass Vorteile entstünden. Im Gegenteil: London müsste weiter Milliarden in den EU-Haushalt einzahlen. Ein Sprecher erklärte, dass eine weitere Anbindung an die EU-Regeln dem Königreich die "legislative und ökonomische Flexibilität" nehme, auf die Corona-Pandemie zu antworten.

© SZ vom 25.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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