Brexit:Mehr konnten sie nicht tun

Lesezeit: 3 min

Küsschen hin, Küsschen her: Inhaltlich kamen sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Theresa May nicht näher. (Foto: Alastair Grant/dpa)

Die EU hätte Theresa May gerne vor weiteren Brexit-Debatten im heimischen Parlament gestärkt, nur: Was will sie?

Von Cathrin Kahlweit, Matthias Kolb, Brüssel/London

Die gute Laune ließ sich Xavier Bettel nach dem gemeinsamen Dinner der Staats- und Regierungschefs weder durch die Brexit-Debatte verderben noch durch Reporter-Fragen. "Ob das hier das letzte Abendmahl war? Nein, noch nicht", sagte Luxemburgs Premierminister, als er um Mitternacht den EU-Gipfel verließ. Bettel bestätigte, was in der EU seit Wochen über den innenpolitischen Machtkampf in Großbritannien gesagt wird: "Mehr können wir nicht tun. Wir müssen auch mal wissen, was genau London will." Bettel schloss eine Neuverhandlung des Austrittsvertrags ebenso klar aus wie Jean-Claude Juncker.

Der Präsident der EU-Kommission hatte am Donnerstagabend die Schlussfolgerungen der EU-27 erläutert, die wiederum Ratspräsident Donald Tusk vorgestellt hatte. Der knappe Text bestand aus genau fünf Absätzen, deren nette Worte May nicht wirklich helfen werden. Die EU-27 machten zwar klar, dass sie den umstrittenen "Backstop" nicht anwenden wollen und dieser "nur als Versicherungspolice gedacht ist, um eine harte Grenze auf der irischen Insel zu verhindern". Aber: Die Diskussionen der Briten seien oft "nebulös", klagte Juncker; die "britischen Freunde" müssten endlich sagen, wie sie sich das Verhältnis zur EU vorstellten, anstatt von Brüssel hilfreiche Ideen zu verlangen.

Dass Juncker frustriert wirkte, ist ein wichtiges Indiz für die Enttäuschung, mit der Mays knapp einstündiger Auftritt aufgenommen wurde. Besonders deutlich wurde dies durch den Vergleich des finalen Textes der EU-27 mit einem ursprünglichen Entwurf. Dieser hatte an zwei Stellen die Bereitschaft enthalten, der Premierministerin nach dem Misstrauensvotum ihrer Fraktion entgegenzukommen; beide wurden jedoch gestrichen. Und hinter jene Passage, in der die EU betont, "nach Kräften" eine besonders rasche Aushandlung des Freihandelsabkommens anzustreben, wurde gar ein mahnender Halbsatz eingeschoben, "wobei sie dasselbe vom Vereinigten Königreich erwartet".

Laut EU-Diplomaten war May freundlich aufgetreten - aber ohne neue Vorschläge. Wie schon beim Gipfel in Salzburg im September wiederholte sie vielmehr Wünsche, die von ihren Gesprächspartnern in Vier-Augen-Gesprächen zuvor ebenso abgelehnt worden waren wie in öffentlichen Statements. Ihre Forderung nach einer "rechtlich bindenden Erklärung", um den Eindruck vom Backstop als "Falle" für die Briten zu kontern, bleibt für die EU inakzeptabel. Die Schilderungen aus dem Saal, in dem die britische Premierministerin ihr Plädoyer vortrug, klingen denn auch, als seien hier Hilflosigkeit und Ratlosigkeit aufeinandergetroffen: "Was genau wollen Sie?", sollen die Chefs der EU-27 gefragt haben, und auch, wie May überhaupt eine Mehrheit im Unterhaus schmieden wolle.

May bat die Anwesenden zwar, ihrer "Urteilskraft zu vertrauen", sie konnte aber ansonsten keine konkreten Ideen liefern - und so wurden denn beim Abendessen, bei dem gedünsteter Kabeljau und Kartoffeln gereicht wurden, alle vorher avisierten Zugeständnisse gestrichen. Die Formulierung, wonach der Backstop nicht "wünschenswert" sei, wurde ebenso entfernt wie der Absatz, wonach die EU prüfen könnte, "ob weitere Garantien gegeben werden können".

In Brüssel wird nun damit gerechnet, dass diese Zugeständnisse erneut debattiert werden, wenn May kurz vor dem Abstimmungstermin im Unterhaus darum bittet. Nicht nur Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz hält daher einen weiteren Brexit-Sondergipfel für möglich. May selbst sagte auf ihrer Pressekonferenz am Freitag vor der Abreise nach London, die Schlussfolgerungen der EU seien "willkommen" und bedeuteten einen Fortschritt, da Brüssel die Vorläufigkeit des Backstops nie so deutlich betont habe. Das jetzige Dokument sei nicht der Endpunkt, denn einige Regierungschefs hätten Bereitschaft zu weiteren Zugeständnissen signalisiert.

Dann erklärte sie noch eilig die Fernsehbilder, die am Freitagmorgen für Schlagzeilen gesorgt hatten und auf denen sie zu sehen ist, wie sie mit Juncker aneinandergerät: Offensichtlich hatte sie den Kommissionspräsidenten zur Rede gestellt, weil der ihre Vorschläge "nebulös" genannt hatte. Darauf angesprochen, bestätigte May diplomatisch, sie habe mit Juncker "ein robustes Gespräch" geführt.

Sie machte also gute Miene zum bösen Spiel, aber sie ahnte zu diesem Zeitpunkt auch, dass das mangelnde Entgegenkommen, das sie in Brüssel erfuhr, nichts gegen das war, was sie daheim erwarten würde. Viel Ärger hatte es schon in ihrer Abwesenheit darüber gegeben, dass die Tories zwei wegen sexueller Übergriffe suspendierte Abgeordnete just am Tag des Misstrauensvotums wieder in die Fraktion zurückholten, auf dass sie für May stimmen könnten. Das sei ganz schlechter Stil, wurde den Konservativen vorgeworfen.

Außerdem hatte Kabinettsmitglied Andrea Leadsom dem murrenden Parlament verkündet, dass die Abstimmung über den Brexit-Vertrag frühestens Mitte Januar stattfinden soll. Viele Abgeordnete wollen aber - nach der Verschiebung des Termins durch May und angesichts des Misserfolgs ihrer Reise nach Brüssel - kommende Woche abstimmen. Die Liberaldemokraten fordern gar, nicht in die Weihnachtsferien zu gehen, solange das Votum nicht stattgefunden hat. Das geht den meisten Kollegen zu weit. Womöglich fordern die LibDems demnächst, Weihnachten abzuschaffen, wurde in Westminster gelästert. Aber dazu sei selbst die Rettung oder Verhinderung des Brexit nicht wichtig genug.

© SZ vom 15.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: